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Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)

Titel: Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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Und das Mädchen selbst sagte überhaupt nichts, vor allem deswegen, weil sie eine Kieferfraktur hatte, die nicht gerade zum Plaudern ermunterte.
    Stattdessen begann der Richter, Nombeko zu verteidigen. Er hielt Herrn van der Westhuizen vor, dass er mindestens fünfmal so viel Alkohol im Blut gehabt hatte, als für einen Verkehrsteilnehmer zulässig war, und außerdem durften Schwarze sehr wohl den Gehweg benutzen, obgleich es natürlich nicht wirklich als passend galt. Doch wenn das Mädchen tatsächlich auf die Straße abgeschwenkt sei – und es gab keinen Grund, diesen Punkt anzuzweifeln, da Herr van der Westhuizen es ja unter Eid bestätigt hatte –, lag der größere Teil der Schuld letztlich doch bei ihr.
    Das Urteil lautete: Fünftausend Rand Schmerzensgeld für seelisches Leid an Herrn van der Westhuizen sowie weitere zweitausend Rand für die Beulen, die sie an seinem Auto verursacht hatte.
    Nombeko hätte sich sowohl das Bußgeld als auch die Reparaturkosten für beliebig viele Beulen leisten können. Sie hätte sich sogar ein neues Auto leisten können. Oder auch zehn. Sie war nämlich äußerst wohlhabend – eine Tatsache, die niemand im Gerichtssaal oder anderswo vermutet hätte. Dass die Diamanten sich immer noch im Saum ihrer Jacke befanden, hatte sie im Krankenhaus mithilfe ihres unverletzt gebliebenen Arms sofort kontrolliert.
    Aber es lag nicht in erster Linie an ihrem gebrochenen Kiefer, dass sie den Mund hielt. Sondern vielmehr an den Diamanten, denn die waren ja gewissermaßen gestohlen. Von einem toten Mann zwar, aber trotzdem. Und es waren bloß Diamanten, kein Bargeld. Wenn sie einen davon hervorholte, würde man ihr die restlichen auch noch abknöpfen und sie bestenfalls wegen Diebstahls einsperren, schlimmstenfalls aber wegen Beihilfe zu Raub und Mord. Kurz und gut – die Situation war keine einfache.
    Der Richter musterte Nombeko und interpretierte ihre bekümmerte Miene anders. Er sagte, das Mädchen sehe ja nicht so aus, als verfüge es über ein nennenswertes Vermögen, und er könne es dazu verurteilen, die Schuld abzuzahlen, indem es bei Herrn van der Westhuizen in Dienst trat, wenn dem Ingenieur ein derartiges Arrangement zusagte? Ein ähnliches Modell hatten der Richter und der Ingenieur ja schon einmal praktiziert, und das funktionierte doch zufriedenstellend, nicht wahr?
    Engelbrecht van der Westhuizen schauderte bei der Erinnerung daran, wie es dazu gekommen war, dass er drei Gelbhäute in Dienst nahm. Aber sie waren ihm ja letztlich doch von Nutzen, und wenn er jetzt noch eine Schwarze dazunahm, das konnte die Sache doch mal wieder ein bisschen auflockern. Andererseits hegte er die Befürchtung, dass dieses elende Exemplar mit gebrochenem Bein, gebrochenem Arm und kaputtem Kiefer vor allem im Weg sein würde.
    »Wenn überhaupt, dann nur zum halben Lohn«, verlangte er. »Euer Ehren sehen doch, wie sie aussieht.«
    Ingenieur van der Westhuizen legte die Bezahlung auf fünfhundert Rand im Monat fest, abzüglich vierhundertzwanzig Rand für Kost und Logis. Der Richter nickte beifällig.
    Nombeko hätte beinahe laut losgelacht. Aber nur beinahe, denn ihr tat alles weh. Dieser Fettsack von Richter und dieser verlogene Ingenieur hatten gerade vorgeschlagen, dass sie über sieben Jahre gratis für den Ingenieur arbeiten sollte. Statt ein Bußgeld zu bezahlen, das trotz seiner Unverhältnismäßigkeit kaum einen Bruchteil ihres gesamten Vermögens ausgemacht hätte.
    Doch vielleicht lag in diesem Arrangement ja die Lösung für Nombekos Dilemma? Sie konnte doch bei diesem Ingenieur einziehen, ihre Wunden heilen lassen und einfach gehen, sobald der Tag gekommen war, an dem sie spürte, dass die Nationalbibliothek in Pretoria nicht länger warten konnte. Schließlich sollte sie zu Haushaltsdiensten verurteilt werden, nicht zu einer Gefängnisstrafe.
    Sie erwog, den Vorschlag des Richters anzunehmen, erkaufte sich aber trotz ihres schmerzenden Kiefers ein paar Sekunden Bedenkzeit, indem sie sich ein bisschen querstellte:
    »Das macht also achtzig Rand netto im Monat. Bis ich alles zurückgezahlt habe, muss ich sieben Jahre, drei Monate und zwanzig Tage beim Herrn Ingenieur arbeiten. Finden Euer Ehren nicht, dass das eine etwas strenge Strafe ist für eine, die auf einem Gehweg von jemand überfahren wurde, der aufgrund seines Alkoholkonsums überhaupt nicht hätte fahren dürfen?«
    Der Richter war völlig verblüfft. Nicht genug damit, dass das Mädchen sich äußerte. Und sich gut

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