Die Analphabetin, die rechnen konnte: Roman (German Edition)
wurde, sofort zu verschwinden, sonst würde die Wache dafür sorgen, dass der Herr Postmann zu einem Paket geschnürt und an die Poststelle zurückgeschickt wurde, von der er herkam.
Ingmar war beleidigt und äußerte sich in aller Kürze zur mutmaßlichen Größe des Geschlechtsorgans der Torwache, woraufhin er Fersengeld geben musste, die Wache selbst auf den Fersen.
Er entkam, teils weil er ein bisschen schneller war als sein Verfolger, vor allem aber, weil Letzterer angewiesen war, sein Tor nie zu verlassen, und daher umkehren musste.
Danach drückte sich Ingmar noch zwei geschlagene Tage vor dem drei Meter hohen Zaun herum, außer Sichtweite dieses Bauerntölpels, der nicht wusste, was das Beste für den König war. Dann gab er es auf und kehrte in das Hotel zurück, das bei dieser Operation seine Basis gewesen war.
»Soll ich die Rechnung fertig machen?«, fragte die Rezeptionistin, die schon lange den Verdacht hatte, dass dieser Gast nicht vorhatte, seine Rechnung zu begleichen.
»Ja, bitte«, sagte Ingmar, ging auf sein Zimmer, packte den Koffer und checkte durchs Fenster aus.
Die zweite große Anstrengung, bevor alles quasi ins Gegenteil umschlug, begann damit, dass Ingmar in der Arbeit einen Artikel in der Dagens Nyheter las (als er zwecks Arbeitsvermeidung auf der Toilette saß). Darin stand, dass sich der König auf Schloss Tullgarn aufhielt, um ein paar Tage bei der Elchjagd zu entspannen. Ingmar stellte sich die rhetorische Frage, wo es denn Elche geben soll, wenn nicht in Gottes freier Natur, und wer Zugang zu Gottes freier Natur hatte, wenn nicht … alle! Sowohl Könige als auch einfache Postbeamte der Königlich Schwedischen Post.
Ingmar zog die Spülung, um den Schein zu wahren, und ging zu seinem Chef, um neuerlichen Urlaub zu ersuchen. Der Oberbuchhalter bewilligte dies mit der aufrichtigen Bemerkung, ihm sei gar nicht aufgefallen, dass der Herr Qvist schon von seinem letzten Urlaub zurückgekehrt sei.
Da man Ingmar in Södertälje schon lange kein Auto mehr lieh, musste er zunächst mit dem Bus bis zur Mietwagenfirma in Nyköping, wo sein ehrliches Gesicht für einen gebrauchten Fiat 518 reichte. Daraufhin begab er sich zu Schloss Tullgarn, mit der schnellsten Geschwindigkeit, die die achtundvierzig Pferdestärken zulassen wollten.
Doch er hatte kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt, da begegnete ihm ein schwarzer Cadillac V8, Baujahr 1938. Der König natürlich. Hatte schon fertig gejagt. Und war auf bestem Wege, Ingmar schon wieder durch die Finger zu schlüpfen.
Ingmar wendete blitzschnell den geliehenen Fiat, hatte das Glück, dass es von da an mehrfach bergab ging, und holte das hundert PS stärkere Fahrzeug des Königs ein. Nun musste er den Wagen nur noch überholen und dann vielleicht mitten auf der Straße eine Panne vortäuschen.
Doch der nervöse Chauffeur des Königs beschleunigte, weil er den Zorn des Königs fürchtete, wenn er sich von einem Fiat überholen ließ. Leider schaute er mehr in den Rückspiegel als nach vorne auf die Straße, und in der nächsten Kurve fuhr der Chauffeur mit Cadillac, König und Gefolge geradeaus weiter, direkt in einen Wassergraben.
Gustaf V . und die anderen waren unverletzt geblieben, aber das konnte Ingmar hinter seinem Lenkrad nicht wissen. Sein erster Gedanke war natürlich, auszusteigen, zu helfen und dem König dabei die Hand zu drücken. Doch sein zweiter Gedanke war: Was, wenn ich den alten Mann jetzt umgebracht habe? Und sein dritter: Dreißig Jahre Zwangsarbeit waren vielleicht doch ein etwas zu hoher Preis für einen Händedruck. Vor allem, wenn die betreffende Hand einer Leiche gehörte. Ingmar vermutete auch, dass er sich im Lande nicht gerade beliebt machen würde. Königsmörder waren selten beliebt.
Also wendete er.
Den Leihwagen stellte er vor dem Parteilokal der Kommunisten in Södertälje ab, in der Hoffnung, dass man seinem Schwiegervater die Schuld geben würde. Von dort ging er den ganzen Weg nach Hause zu Henrietta zu Fuß und erzählte, es könnte sein, dass er gerade den König umgebracht habe, den er doch so sehr liebte.
Henrietta tröstete ihn mit den Worten, dass der König die Kurve sicher überlebt habe, doch wenn sie sich täusche, sei es durchaus von Vorteil für die Familienfinanzen.
Am nächsten Tag teilte die Presse mit, dass König Gustaf V . bei einer schnellen Autofahrt im Graben gelandet, jedoch unverletzt davongekommen sei. Henrietta nahm die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf, dachte
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