Die andere Seite des Glücks
mich schützend vor die Tür werfen konnte.«
»Danke.« Ich ließ den Blick schweifen. »Hast du jemanden Notizen machen sehen, oder vielleicht mit einem Aufnahmegerät?«
Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
Ich zuckte die Schultern und fing an, Gläser mit Sekt und mit Apfelmost zu füllen und auszuteilen. Dann forderte ich alle auf, sich draußen vor der Veranda zu versammeln, wie sonst immer am 4 . Juli. Ich selbst blieb auf der Veranda stehen, so wie Joe immer, und hob mein Glas. »Um das hier in nur zwei Monaten hinzubekommen, brauchte es nicht weniger als ein Wunder. Ihr alle hier seid Menschen, die nicht nur kommen und gucken, sondern wirklich mit anpacken, und zwar tatkräftig und viele lange Stunden. Die sogar etwas zu essen mitbringen! Die Kinder hüten! Ich weiß, ich bin nicht in Elbow aufgewachsen, aber ich hoffe, ihr betrachtet mich als eine von euch. Denn ich tue das ganz sicher. Auf dich, Elbow in Kalifornien. Auf euch, Großmutter Rosemary und Großvater Sergio, die ihr den Samen gesät habt, und auf Marcella und Joe senior. Und schließlich auf Joe, der Picknicke geliebt hat, diesen Ort und euch alle miteinander. Vielen vielen Dank.« Wir hängten seine Schürze und das Foto mit Joe, seinem Vater und Großvater auf und stießen auf den großen Erfolg von DAS LEBEN IST EIN PICKNICK an.
Auf dem Nachhauseweg, mit den Kindern rechts und links an der Hand, fühlte ich mich euphorisch und hundemüde zugleich. Alle – mit Ausnahme von Ray Longobardi – hatten vom Essen geschwärmt, dem Laden und der Karte, und dass die Restaurants, der Kanu- und Kajakverleih und das Elbow Inn von uns profitieren würden. Die einzige Enttäuschung war das Fehlen jeglicher Journalisten, doch ich machte mir klar, dass die Eröffnung eines Picknick-Ladens nicht gerade eine Nachricht für die erste Seite war. Just in dem Moment kam ein junger, leicht übergewichtiger Mann auf uns zugeilt. Er trug Freizeithosen, Skateschuhe und eine Windjacke. »Ella? Ella Beene?«, fragte er.
Man sah ihm den Reporter buchstäblich an. Endlich! »Ja, das bin ich. Und ja, ich bin die Besitzerin, oder besser gesagt, eine Teilhaberin. Aber die Idee dazu kam mir, als ich –«
»Gut, sind Sie also Ella Beene? Ich muss Ihnen das übergeben.« Er zog den Reißverschluss seiner Windjacke auf und holte einen braunen Briefumschlag hervor. »Tut mir leid, es ist nur mein Job«, sagte er in dem unbeholfenen Versuch, sein Auftauchen zu entschuldigen. Er drehte sich um und ging über die Straße zurück zu seinem Hyundai, setzte sich rein und fuhr davon.
Ich starrte den Briefumschlag an. Mein Name, meine Adresse sowie die Adresse des Ladens standen handgeschrieben darauf, sonst nichts. Doch ich wusste, was es war.
Annie zupfte an meinem Arm. »Mommy? War das der Mann von der Presse?«
15. Kapitel
Nachdem ich die Kinder zu Bett gebracht und den Holzofen angemacht hatte, sank ich aufs Sofa, stellte die Füße auf den Truhenrand und redete mir ein, dass der Umschlag nicht das enthielt, was ich befürchtete.
Vielleicht einfach nur ein weiteres Problem aus Joes Hinterlassenschaft, eine weitere unbezahlte Rechnung.
Bitte lass es das sein, damit komme ich klar
. Meine Tirade im Garten, als mir klargeworden war, wie groß die Geldprobleme waren, kam mir jetzt lächerlich vor. Ich zog kurz in Betracht, den Briefumschlag nicht zu öffnen, legte ihn hin, nahm ihn wieder in die Hand. Im Ofen platzte Holz, und ich schreckte zusammen. Tief durchatmend, riss ich den Umschlag auf, zog den Brief heraus und las die Erklärung der Antragstellerin, Paige Capozzi:
Ich bin die Mutter von zwei Kindern, Annie Capozzi, sechs Jahre alt, und Zach Capozzi, drei Jahre alt. Ihr Vater, Joseph Capozzi, starb kürzlich durch Ertrinken. Ich beantrage hiermit, dass die Kinder bei mir, ihrer Mutter, leben, und dass mir das volle Sorgerecht übertragen wird.
Und warum sollte dem irgendjemand zustimmen? Warum dir? Die ganze Stadt Elbow kennt Annie und Zach besser als du.
Nach der Geburt beider Kinder litt ich unter schweren postpartalen Depressionen. Als Zach ein Säugling war, fühlte ich mich nicht in der Lage, die Mutterrolle einzunehmen. Obwohl es mir großen Schmerz bereitete, entschied ich, dass es im Interesse meiner Kinder ist, sie der Obhut ihres Vaters zu überlassen, um mich in medizinische und psychologische Behandlung zu begeben, die ich dringend benötigte.
Mein Zustand war temporär, aber Monate später, als ich versuchte, wieder Kontakt mit meinen Kindern
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