Die andere Seite des Glücks
Patchworkfamilie.
Schließlich blickte Gwen Alterman mich über ihre Brille hinweg an und räusperte sich. »Sie behauptet, zahlreiche Versuche unternommen zu haben, Kontakt aufzunehmen. Das ändert einiges.«
»Ja, aber sie lügt«, sagte ich.
»Sind Sie ganz sicher, dass sie nie versucht hat, die Kinder oder den Vater zu kontaktieren? Weil wir nämlich aufgefordert werden, die Briefe vorzulegen. Wenn Sie sie haben, müssen Sie sie übergeben.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin ins Haus gekommen, kurz nachdem sie gegangen war, und habe niemals auch nur eine Spur von ihr gesehen.
Außer in Annies und Zachs blauen Augen und seidigem blondem Haar
, dachte ich.
Und dem einen Foto von ihr, strahlend und schwanger, das ich in Joes Fotobuch
Das Licht einfangen
gefunden hatte. Den Paisley-Morgenmantel, den Joe nach unserer ersten gemeinsamen Nacht weggeworfen hatte
.
»Und die Familie Ihres Mannes? Hatte sie Kontakt mit ihr?«
»Nein. Sie sind wütend auf Paige, weil sie sich davongemacht hatte.«
»Warum genau war sie gegangen? Depressionen? Kriegt ein bisschen Bammel und verlässt ihre Kinder für ganze drei Jahre?«
»Mehr weiß ich wirklich nicht«, gab ich zu. Gwen wartete, sah mich über ihre Brille hinweg an. »In Joes Familie wird über solche Sachen nicht geredet. Es sind warmherzige, liebevolle Menschen, aber bestimmte Themen sind … na ja … tabu.«
»Zum Beispiel?«
Ich seufzte. »Also ich weiß, dass Joes Großvater im Zweiten Weltkrieg in einem Internierungslager war, aber niemand redet darüber. Oder die Tatsache, dass unser Laden finanziell am Ende war und Joe keinem erzählt hatte, wie schlimm es steht.«
»War Joes Großvater Japaner?«
Ich lächelte. »Nein, aber das Gleiche habe ich auch gefragt, als Joe es mir erzählt hat. Italiener wurden auch interniert, nur nicht annähernd so viele.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das habe ich nicht gewusst … Wirklich wahr?« Ihr Telefon klingelte einmal, und sie sagte ihrer Rezeptionistin, dass sie noch einen Moment brauchte. »Ist Ihnen niemals in den Sinn gekommen, Joe zu fragen, warum sie weggegangen ist?«
Ich starrte sie an. »Hm, nein.« Dass ich die Einzelheiten im Prinzip auch heute noch nicht wissen wollte, behielt ich für mich. »Hat sie eine Chance?«
»Es gibt immer eine Chance. Aber« – sie überflog die Scheidungspapiere – »es sieht so aus, als hätte sie Joes Sorgerechtsersuchen niemals angefochten. Sie hat alles unterschrieben, kampflos. Wissen Ihre Kinder überhaupt, wer sie ist?«
»Na ja, schon – Annie erinnert sich an sie. Zach nicht, aber er hat definitiv keine Angst vor ihr. Er scheint sie zu mögen. Sie ist … sehr schön … und sie ist nett zu ihnen, denke ich.«
»Schön ist, wer Schönes tut, wie man so schön sagt. Und die eigenen Kinder zu verlassen ist niemals schön. Nicht einmal okay. Für die Kinder sind Sie in erster Linie ihre Mutter. Sie haben sie gefüttert und gewickelt und waren in den letzten drei Jahren für sie da, während Paige Capozzi Gott weiß wo war. Nein, es ist nicht im besten Interesse der Kinder, ihnen ihr Zuhause zu nehmen, ihre liebevolle Stiefmutter, ihre Verwandten – ich brauche übrigens von allen Briefe, die das bestätigen –, um an einem fremden Ort mit einer fremden Frau zu leben. Zumal sie gerade den traumatischen Verlust ihres Vaters verarbeiten müssen. Ich glaube, wir haben einen aussichtsreichen Fall.«
Ich atmete tief und etwas zittrig durch. »Sie glauben ja gar nicht, wie gut es ist, das zu hören.«
Lächelnd nahm sie die Brille ab. »Und jetzt erzählen Sie mal – können Sie schlafen? Essen?«
Ich zuckte die Schultern. »Schlafen kaum, essen ein bisschen.«
»Versuchen Sie es mit Joghurt oder Milchshakes. Was immer drinnen bleibt, meine Liebe, weil Sie nämlich jedes Gramm, das Sie auf den Rippen haben, brauchen werden. Und Ihre Kinder brauchen Sie auch.«
Ich nickte.
»Ich sage das in dieser Situation nur ungern, mit all den anderen Problemen, die es gibt, aber Sie brauchen eine Einkommensquelle. Und zwar schnell. Es sieht ganz so aus, als verdiene sie gut – oder zumindest vermittelt sie den Eindruck. Aber was ich so mitbekomme, stimmt es wahrscheinlich, selbst wenn sie auch nur im weitesten Sinne etwas mit Immobilien in Las Vegas zu tun hat. Wenn Ihre finanzielle Situation so schlecht ist, wie Sie sagen, erwecken Sie eventuell den Eindruck, die Kinder nicht versorgen zu können. Wenn Ihr neuer Laden nicht sofort Geld einbringt, müssen Sie sich
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