Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
Vom Netzwerk:
deshalb fühlen die Vögel sich hier wohl«, sagte Onkel Tinsley.
    »Hat Mom vielleicht angerufen?«, fragte Liz.
    »Leider nein.«
    »Sie hat doch die Nummer, oder?«, fragte ich.
    »Die Nummer hat sich nicht geändert, seit wir sie bekommen haben – zwei, vier, sechs, acht«, sagte er. »War die erste Telefonnummer, die in Byler vergeben wurde, deshalb konnten wir sie uns aussuchen. Apropos aussuchen, ich mache pochierte Eier zum Frühstück, wie hättet ihr die denn gern?«
    »Hart«, sagte ich.
    »Weich«, sagte Liz.
    »Setzt euch da drüben hin.« Er zeigte auf verrostete Gartenmöbel aus Gusseisen.
    Ein paar Minuten später kam er mit dem Silbertablett vom Vorabend heraus und brachte einen Stapel Toastscheiben und drei Teller mit jeweils einem pochierten Ei in der Mitte. Die Teller hatten einen verschnörkelten Goldrand, der aber stellenweise abgeplatzt war. Ich hob mein Ei an einer Stelle an und schob eine Toastscheibe darunter, dann stach ich mit meiner Gabel ins Eigelb, schnitt den weißen Teil von dem Ei in Stücke und manschte alles zusammen.
    »Bean verschandelt ihr Essen immer«, sagte Liz zu Onkel Tinsley. »Das ist ekelhaft.«
    »Durcheinander schmeckt’s besser«, sagte ich. »Aber das ist nicht der einzige Grund. Erstens musst du nicht so viele Bissen nehmen, also spart es Zeit. Zweitens musst du nicht so oft kauen, weil, wenn alles schön zermanscht ist, ist es praktisch schon vorgekaut. Und außerdem landet sowieso das ganze Essen zusammen im Magen, deshalb ist es offensichtlich so gedacht.«
    Onkel Tinsley lachte kurz auf und sah Liz an. »Ist sie immer so?«
    »Oh ja«, sagte Liz. »Bean hat ihren eigenen Kopf.«
    Wir boten an, den Abwasch zu machen, doch Onkel Tinsley meinte, es ginge schneller, wenn er allein spülte, ohne dass ihn zwei Kinder dabei störten. Er sagte, wir sollten losziehen und irgendwas machen, was Mädchen in unserem Alter so machten.
    Liz und ich spazierten um das Haus herum nach vorn, wo zwei hohe Bäume mit dunkel glänzenden Blättern und großen weißen Blüten standen. Dahinter, auf der anderen Seite des Rasens, war eine Reihe von mächtigen grünen Büschen mit einer Lücke in der Mitte. Wir gingen durch die Lücke und waren plötzlich von den dunkelgrünen Büschen umringt. Ein paar zähe Schwertlilien hatten sich durch das Unkraut in alten überwucherten Blumenbeeten gekämpft. In der Mitte war ein runder Teich mit Backsteinrand. Er war mit Laub übersät, doch im Wasser darunter sah ich kurz leuchtendes Orange aufblitzen.
    »Fische!«, rief ich. »Goldfische! In dem Teich sind Goldfische!«
    Wir knieten uns hin und betrachteten die orangeroten Fische, die unter den dichten Blättern in der schattenhaften Tiefe hin und her glitten. Mir fiel ein, dass Fido toll darin schwimmen könnte. Der arme Kerl musste sich ja nach der langen Zeit in seiner Dose wie eingekerkert fühlen.
    Ich rannte zurück zur Scheune, aber als ich die Tupperdose öffnete, trieb Fido leblos im Wasser. Er hatte gesund gewirkt, als ich ihn zuletzt gefüttert hatte. Ich setzte ihn auf den Tisch und stupste ihn mit dem Finger an, versuchte ihn dazu zu bringen, sich zu bewegen, obwohl ich wusste, dass es hoffnungslos war. Fido war tot, und das war meine Schuld. Ich hatte gedacht, ich könnte auf ihn aufpassen und ihn versorgen, aber diese Busreise war zu viel für den armen kleinen Kerl gewesen. Es wäre ihm besser ergangen, wenn ich ihn in Lost Lake gelassen hätte.
    Ich setzte Fido zurück in die Tupperdose und trug ihn hinaus zum Teich. Liz legte den Arm um mich und schlug vor, Onkel Tinsley zu fragen, wo wir Fido beerdigen könnten.
    Onkel Tinsley war noch immer in der Küche beschäftigt, als wir anklopften.
    »Ich dachte, ihr beiden wolltet spielen gehen?«, sagte er.
    »Fido ist tot«, sagte ich.
    Onkel Tinsley sah Liz an.
    »Beans Schildkröte«, erklärte sie.
    »Wir müssen ihn irgendwo begraben«, sagte ich.
    Onkel Tinsley trat aus dem Haus und zog die Tür hinter sich zu. Ich gab ihm die Tupperdose, und er sah sich Fido an. »Wir begraben alle Haustiere der Familie auf dem Familienfriedhof«, sagte er. Er führte uns zurück zur Scheune, wo er sich eine Schaufel mit langem Holzstiel nahm. Dann stapften wir drei den Hügel dahinter hoch.
    »Fido ist ein kurioser Name für eine Schildkröte«, sagte er unterwegs.
    »Eigentlich wollte Bean einen Hund«, sagte Liz und erzählte ihm, wie Mom uns erklärt hatte, dass es immer die Kinder waren, die sich ein Haustier wünschten, aber immer die

Weitere Kostenlose Bücher