Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
Mütter, die sich dann darum kümmern mussten, und dass sie keine Lust hatte, einen Hund Gassi zu führen und seinen Dreck wegzumachen. Also hatte sie mir eine Schildkröte gekauft.
»Fido bedeutet ›Ich bin treu‹«, sagte ich. »Fido war eine sehr treue Schildkröte.«
»Das glaub ich gern«, sagte Onkel Tinsley.
Hinter der Scheune standen ein paar verfallene Holzgebäude.
Räucherhütte, Melkschuppen, Abfohlstall, Hühnerstall, Eishaus und Brunnenhaus, erklärte Onkel Tinsley uns und sagte, dass Mayfield früher richtig bewirtschaftet worden war und Helfer die meiste Arbeit erledigt hatten. Er besaß noch immer die ganzen 83 Hektar, mitsamt einem Wald und der großen Heuwiese, auf der der Friedhof lag. Inzwischen mähte ein Farmer namens Mr Muncie, der ein Stück die Straße hoch wohnte, die Wiese und belieferte Onkel Tinsley für das Heu mit Eiern und Gemüse.
Wir kamen durch einen Obstgarten, wo Onkel Tinsley uns Apfel-, Pfirsich- und Kirschbäume zeigte, und gelangten dann auf eine große Wiese. Ganz oben auf der Wiese beschatteten einige Bäume den Familienfriedhof, der von einem rostigen schmiedeeisernen Zaun umgeben war. Der Friedhof war voller Unkraut, und ein paar von den alten Grabsteinen waren umgekippt. Onkel Tinsley führte uns zu dem einzigen gut gepflegten Grab mit einem ziemlich neuen Grabstein. Da liege Martha begraben, sagte er, und die freie Grabstelle daneben sei für ihn, wenn es so weit war. Die Haustiere habe man drum herum beerdigt, nah bei ihren Besitzern.
»Bestatten wir Fido bei Martha«, sagte Onkel Tinsley. »Ich glaube, sie hätte ihn gemocht.«
Er grub ein kleines Loch und legte Fido in seinem Tupperdosensarg hinein. Ich suchte ein hübsches weißes Stück Quarz als Grabstein aus, und Onkel Tinsley hielt eine kurze Trauerrede. Er sprach von Fido als einer tapferen und wahrhaft treuen Schildkröte. Sie habe die lange und gefahrvolle Reise von Kalifornien hierher auf sich genommen, um seine Besitzerin und ihre Schwester zu beschützen. Nachdem Fido beide sicher nach Virginia gebracht habe, sei seine Arbeit getan, und so könne er beruhigt von ihnen Abschied nehmen und zu der geheimen Insel mitten im Ozean reisen, die der Schildkrötenhimmel sei.
Nach der Trauerrede fühlte ich mich deutlich besser – im Hinblick auf Fido und auch auf Onkel Tinsley. Als wir den Berg hinunter zurückgingen, fragte ich ihn nach den Goldfischen, die wir im Teich entdeckt hatten. »Das sind Kois«, sagte Onkel Tinsley. »Den Garten hat Mutter angelegt. Es war mal einer der schönsten Privatgärten in ganz Virginia. Mutter hat dafür Preise gewonnen. Alle Ladys im Gartenverein haben sie darum beneidet.«
Wir bogen um die Scheune herum, und das große weiße Haus kam in Sicht. Ich erzählte Onkel Tinsley von meinem Haustraum und dass ich, als wir in Mayfield ankamen, in seinem Haus das aus meinen Träumen erkannt hatte.
Onkel Tinsley wurde nachdenklich. Er lehnte die Schaufel an einen alten Wassertrog vor der Scheune. »Dann solltest du es dir wohl auch mal von innen ansehen«, sagte er. »Nur, um ganz sicherzugehen.«
Wir folgten Onkel Tinsley die breiten Verandastufen hinauf. Er holte tief Luft und öffnete die Tür.
Die Eingangshalle war groß und dunkel und voller Holzschränke mit Glastüren. Es herrschte ein gewaltiges Durcheinander. Zeitungen, Illustrierte, Bücher und Post stapelten sich hoch auf den Tischen und dem Fußboden, und überall standen Kisten mit Steinen und Flaschen voller Erde und Sand und Flüssigkeiten herum.
»Das sieht hier vielleicht ein wenig chaotisch aus«, sagte er, »aber nur, weil ich gerade dabei bin, alles neu zu sortieren.«
»So schlimm ist das gar nicht«, sagte Liz. »Müsste nur ein bisschen aufgeräumt werden.«
»Wir könnten ja mithelfen«, schlug ich vor.
»Oh nein. Ich habe alles unter Kontrolle. Alles hier hat seinen Platz, und ich weiß genau, wo alles ist.«
Onkel Tinsley zeigte uns den Salon, das Esszimmer und den Ballsaal. Ölgemälde hingen schief an den Wänden, und ein paar waren halb aus ihrem Rahmen gerutscht. Die Perserteppiche waren abgetreten und zerschlissen, die Seidenvorhänge verblichen und löchrig, und die fleckige Tapete löste sich stellenweise von den Wänden. Ein dunkelgrünes Samttuch bedeckte den Flügel, der in dem großen Ballsaal mit den hohen Verandatüren stand. Überall lag Zeug herum – noch mehr Stapel aus Papier und Kladden, altmodische Ferngläser, Pendeluhren, zusammengerollte Landkarten, haufenweise
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