Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
angeschlagenes Porzellan, alte Pistolen, Schiffe in Flaschen, Statuen von sich aufbäumenden Pferden, gerahmte Fotografien und viele kleine Holzkästen, von denen einer mit Münzen gefüllt war, ein anderer mit Knöpfen, wieder ein anderer mit alten Orden. Und alles war von einer dicken Staubschicht überzogen.
»Das ist echt viel Zeug«, sagte ich.
»Ja, aber jeder einzelne Gegenstand, den ihr hier seht, hat seinen Wert«, sagte Onkel Tinsley. »Vorausgesetzt, man ist schlau genug, um das zu schätzen zu wissen.«
Er führte uns eine geschwungene Treppe hinauf und einen langen Flur entlang. Am Ende des Ganges blieb er vor zwei Türen stehen, die sich gegenüberlagen. Beide hatten Messingtürklopfer in Form von Vögeln. »Das ist der Vogeltrakt«, erklärte uns Onkel Tinsley. »Hier werdet ihr wohnen. Bis eure Mutter euch abholen kommt.«
»Schlafen wir nicht weiter in der Scheune?«, fragte ich.
»Nicht dran zu denken, wo Fido euch nicht mehr beschützen kann.«
Onkel Tinsley öffnete die Türen. Jede von uns hätte ein eigenes Zimmer, sagte er. Beide Räume hatten Tapeten mit Vogelmotiven – gewöhnliche Vögel wie Rotkehlchen und Kardinäle und exotische Vögel wie Nymphensittiche und Flamingos. Der Vogeltrakt, so erklärte Onkel Tinsley, war für seine Zwillingstanten entworfen worden, die kleine Mädchen waren, als das Haus gebaut wurde. Sie hatten Vögel geliebt und ein viktorianisches Vogelhaus besessen, in dem sie verschiedene Finkensorten hielten.
»Wo war Moms Zimmer?«, fragte ich.
»Hat sie das nie erzählt?«, fragte er. »Der ganze Vogeltrakt war ihrer.« Er zeigte durch die offene Tür in ein Zimmer. »Als sie dich nach deiner Geburt aus dem Krankenhaus nach Hause brachte, hat sie dich in die Wiege dort gelegt.«
Ich sah mir die Wiege an. Sie war klein und weiß und aus Korb geflochten, und ich wusste gar nicht genau, wieso, aber irgendwie fühlte ich mich bei ihrem Anblick sehr geborgen.
6
W ährend wir am nächsten Morgen unsere pochierten Eier aßen, redeten Liz und ich auf Onkel Tinsley ein, dass wir ihm doch dabei helfen könnten, sein Haus nur ein kleines bisschen aufzuräumen. Aber er beteuerte, nichts im Haus dürfe weggeworfen oder auch nur weggeräumt werden. Er sagte, die Sachen wären alle entweder Familienerbstücke oder sie gehörten zu einer seiner Sammlungen oder aber er benötigte sie für seine geologischen Forschungen.
Den ganzen Vormittag führte Onkel Tinsley uns im Haus herum und erklärte, was der ganze Kram ihm bedeutete. Er nahm irgendein Teil in die Hand – sagen wir einen Brieföffner mit Elfenbeingriff oder einen Dreispitz – und erzählte uns lang und breit, wo es herkam, wem es gehört hatte und warum es so außerordentlich bedeutsam war. Mir wurde klar, dass tatsächlich alles seine Ordnung hatte, aber eine, die nur er so richtig verstand.
»Das Haus kommt mir vor wie ein Museum«, sagte ich.
»Und du bist der Museumsdirektor«, sagte Liz zu Onkel Tinsley.
»Gut erkannt«, erwiderte er. »Aber es ist eine ganze Weile her, dass ich zuletzt jemand herumgeführt habe.« Wir standen im Ballsaal. Onkel Tinsley schaute sich um. »Ich gebe zu, das Ganze wirkt ein wenig unaufgeräumt. So hat Martha das gern ausgedrückt. Ich habe schon immer gern Sachen gesammelt, aber als sie noch lebte, hat sie mir geholfen, diesen Drang in Schach zu halten.«
Schließlich erlaubte Onkel Tinsley uns, einen Teil der alten Zeitungen und Illustrierten wegzuwerfen. Außerdem durften wir Kisten mit Mineralproben, Fadenspulen aus der Baumwollweberei und Papiergeld der Konföderierten rauf auf den Speicher und runter in den Keller tragen. Wir putzten die Fenster, lüfteten die Zimmer, schrubbten Böden und Tische und saugten die Teppiche und Vorhänge mit einem alten Staubsauger aus den fünfziger Jahren, der mich an ein kleines Raumschiff erinnerte.
Am Ende der Woche sah das Haus um einiges besser aus. Trotzdem entsprach es noch längst nicht dem, was die meisten Menschen unter sauber und ordentlich verstehen, und wir mussten einfach akzeptieren, dass wir nicht in einem normalen Haus wohnten, sondern eher in einer Art Trödelladen, der vollgestopft war mit total faszinierendem Kram – vorausgesetzt, man war schlau genug, seinen Wert zu erkennen.
Wildragout und Eier waren Onkel Tinsleys Hauptnahrungsmittel. Er schieße keine großen Hirschböcke, um sich die Geweihe aufzuhängen, erklärte er, aber wenn er in der Jagdsaison zwei oder drei Hirschkühe erlegte, sie
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