Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
war ein heißer Septembertag, und ich trug ein ärmelloses Shirt. Seine riesige Hand war so rau und schwielig, dass ich fast meinte, jeden einzelnen Wulst an seinen Fingern spüren zu können.
»Du nimmst deine Pflichten ernst«, fuhr er fort, »und du regst dich nicht über Kleinigkeiten auf. Anders als Doris. Die regt sich andauernd fürchterlich über irgendwelche blöden Nichtigkeiten auf. Du hast Sinn für Humor, bist lustig. Du hast Mumm, und du bist ziemlich reif für dein Alter. Wie alt bist du noch mal genau?«
»Zwölf.«
»Zwölf? Mehr nicht? Das kann ich kaum glauben. Du siehst viel älter aus und benimmst dich auch so.« Plötzlich schob Mr Maddox seinen dicken Daumen in meine Achselhöhle und fing an, sie zu streicheln. »Und dir wächst auch schon der erste Flaum.«
Ich fuhr zurück. »Lassen Sie das!«
Mr Maddox hielt meine Schulter einen Moment länger fest, sein Daumen noch immer in meiner Achselhöhle, dann ließ er die Hand fallen und lachte. »Na hör mal, jetzt führ dich mal nicht so albern auf«, sagte er. »Ich hab nichts Verbotenes gemacht. Ich hab nur bemerkt, dass du langsam erwachsen wirst. Ich hab Frau und Tochter. Ich bin mit Schwestern aufgewachsen, und ich weiß alles über Frauen und was bei ihnen so abläuft, wenn sie anfangen, sich zu entwickeln. Das ist ganz natürlich. Ich bin erwachsen, und du wirst es bald sein. Wenn wir eine Arbeitsbeziehung haben wollen, wie das unter Erwachsenen üblich ist, müssen wir über solche Dinge reden können. Zum Beispiel, wenn du vielleicht mal nicht zur Arbeit kommen kannst, weil du deine Tage bekommen und Unterleibschmerzen hast. Dann wirst du mir das sagen müssen. Kommt in der Weberei andauernd vor.«
Ich blickte nach unten auf den Berg unsortierte Socken. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte mich nicht albern oder hysterisch aufführen. Und obwohl es sich unanständig angefühlt hatte, als Mr Maddox mir seinen Daumen in die Achselhöhle geschoben hatte, klang das, was er sagte, ganz vernünftig.
Mr Maddox hob die Hand und drückte mein Kinn hoch. »Du bist mir doch nicht böse, oder?«, fragte er. »Ich dachte, wir unterhalten uns über das Erwachsenwerden. Hör mal, wenn du böse bist, solltest du mir das sagen. Wenn du denkst, ich hätte mich danebenbenommen, darfst du dich auch danebenbenehmen. Du darfst mich beschimpfen. So richtig beleidigen.« Er wartete. »Oder du darfst mich schlagen. Na los, schlag mich.« Er breitete die Arme aus. »Komm schon, box mir in den Bauch. So fest du kannst.« Er wartete einen Moment. Dann zeigte er auf sein Kinn. »Oder hierhin, ins Gesicht, wenn du willst.«
»Nein, danke.«
»Du willst mich nicht schlagen? Wieso nicht?« Er wartete wieder. »Ich weiß, du hast keine Angst vor mir, also bist du wohl nicht böse auf mich. Gut.« Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und gab mir einen Zwanziger. »Das ist für deine Arbeit heute«, sagte er und ging die Treppe rauf.
Zwanzig Dollar, das war viel mehr, als Mr Maddox mir normalerweise für einen Tag bezahlte. Die ganze Sache war irgendwie eklig gewesen, und weil ich das Geld genommen hatte, kam es mir so vor, als hätte ich mich von ihm bestechen lassen. Aber zwanzig Dollar waren nun mal viel Geld. Mr Maddox wusste, dass ich es brauchte, und er wusste, dass ich es nehmen würde. Ich schob den Schein in die Hosentasche, sortierte die Socken zu Ende und ging, ohne mich zu verabschieden.
»Ich mag Mr Maddox nicht«, sagte ich am Abend zu Liz.
»Du musst ihn auch nicht mögen«, sagte sie. »Du musst nur wissen, wie man mit ihm fertigwird.«
Ich hatte fest vorgehabt, Liz zu erzählen, was passiert war, aber es war mir auch irgendwie peinlich. Außerdem, wenn ich das Ganze noch mal Revue passieren ließ, hatte Mr Maddox eigentlich nichts Verbotenes gemacht, und falls doch, so hatte er sich mehr oder weniger dafür entschuldigt. Ich redete mir ein, dass ich die Sache nicht unnötig aufbauschen wollte. Von nun an musste ich einfach lernen, mit ihm fertigzuwerden. Genau wie Liz.
28
N ormalerweise rief Mom einmal die Woche an, aber mitunter meldete sie sich mit ein paar Tagen Verspätung oder mal eine Woche lang gar nicht. Wenn das passierte, entschuldigte sie sich immer und sagte, sie habe anrufen wollen, aber ihr wisst ja, wie verrückt es in der Musikbranche zugehen kann.
Die Zeit sei noch immer nicht günstig, um Liz und mich nach New York zu holen, erklärte Mom, aber wir würden nicht ewig in Mayfield bleiben
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