Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
Vom Netzwerk:
klügsten, ihm einfach zuzuhören. Mr Maddox hatte zu Liz gesagt, er wüsste, dass er manchmal ein Hitzkopf war, und einer der Gründe, warum er sie mochte, war der, dass sie ruhig blieb, wenn er ein bisschen die Beherrschung verlor. Sie hatte sich unter Kontrolle. Außerdem vertraute er ihr und respektierte sie, und deshalb übertrug er ihr wirklich verantwortungsvolle Aufgaben. Sie hatte sogar vertrauliche Akten zu den Rechtsstreitigkeiten, in die er verwickelt war, einsehen dürfen.
    »Was denn für Streitigkeiten?«
    »Darüber darf ich nicht reden«, sagte sie. »Mr Maddox hat mich Verschwiegenheit schwören lassen.«
    »Nicht mal mit mir?«, fragte ich. Liz und ich hatten uns immer alles erzählt.
    »Nicht mal mit dir.«

25
    A ls der Sommer zu Ende ging, hatten Liz und ich genug gespart, um uns neue Sachen kaufen zu können. Mr Maddox hatte mich bar bezahlt, wie ich gewollt hatte, und ich hatte mein Geld in einer Zigarrenkiste in der kleinen weißen Wiege verwahrt, zusammen mit dem Foto von meinem Dad und seinem Silver Star. Liz hob etwas Geld von ihrem Sparkonto ab, und eines Nachmittags kurz vor Schulbeginn gingen wir zu Kresge, einem Laden auf der Holladay Avenue. Ich dachte, wir würden uns einige preiswerte Klamotten kaufen, aber Liz meinte, wir sollten uns außer Jeans und T-Shirts wenigstens ein richtig knalliges Outfit leisten. Es wäre einfach wichtig, wie sie immer wieder sagte, in einer neuen Schule einen guten ersten Eindruck zu machen. Liz entschied sich für einen grell orange-lila Rock und ein glänzendes lila Shirt. Für mich suchte sie eine limonengrüne Hose und eine genauso limonengrüne Weste aus. »Du darfst dich nicht verstecken«, sagte sie.
     
    Am ersten Schultag zogen wir beide unsere richtig knalligen Outfits an, und obwohl es nicht weit von Mayfield eine Bushaltestelle gab, fuhr uns Onkel Tinsley im Woody zur Byler High. Auch er fand es wichtig, einen guten ersten Eindruck zu machen.
    Die Schule war ein großes, dreigeschossiges Backsteingebäude mit Kalksteinsäulen und Stuckverzierungen. Hunderte von Schülern liefen unter den riesigen Pappeln vor der Schule umher, die schwarzen Kinder in einer Gruppe und die weißen Kinder in einer anderen. Sobald wir vorfuhren, wusste ich, dass wir kleidungsmäßig einen schrecklichen Fehler gemacht hatten. Die weißen Kinder trugen ausnahmslos verwaschene Jeans, Turnschuhe und T-Shirts, während die schwarzen Kinder ausnahmslos auffällige, schrille Klamotten trugen, wie Liz und ich.
    »Wir sind angezogen wie die schwarzen Kinder!«, platzte ich heraus.
    Onkel Tinsley lachte. »Du hast recht«, sagte er. »Heutzutage kleiden sich die Farbigen besser als die Weißen.«
    »Die werden uns alle angaffen und auslachen«, sagte ich. »Wir müssen nach Hause, uns umziehen.«
    »Dafür ist es zu spät«, sagte Liz. »Außerdem sagt Mom doch immer, wer will schon zur Masse gehören, wenn er auffallen kann?«
    Und auffallen taten wir tatsächlich. Die anderen Kinder, schwarze und weiße gleichermaßen, beäugten mich, kicherten und starrten mir mit runtergeklapptem Unterkiefer nach, während ich von Klassenraum zu Klassenraum ging. »Hey, Neon-Mädchen!«, rief ein weißer Junge hinter mir her.
    Am selben Abend hängte ich die limonengrüne Hose in den Schrank, gleich neben Moms Debütantinnenkleider. Am nächsten Tag würde ich Jeans und T-Shirt anziehen. Liz sagte, sie würde dasselbe tun, aber ich wusste, selbst wenn ich diese Hose nie wieder tragen würde, sie hatte einen unvergesslichen ersten Eindruck gemacht. Von jetzt an, da war ich sicher, wäre ich für alle das Neon-Mädchen.

26
    D ie Byler High bestand aus einem einzigen alten Gebäude. Anders als die flachen, modernen Schulen, auf die ich in Kalifornien gegangen war, hatte sie Treppen und hohe Decken und war nicht nur muffig, sondern auch laut. Ständig knallten Spindtüren, und Klingeln kündigten Pausen an, und Schüler schrien in den überfüllten Fluren. Mir wurde schnell klar, dass Kinder, die einander schon ihr ganzes Leben lang kannten, keinerlei Interesse daran hatten, die Neue kennenzulernen. Selbst wenn ich sie ganz besonders freundlich anlächelte, schauten sie rasch weg. Vielleicht lag es an der Integration, aber auf den Fluren und Treppen wurde auch ziemlich viel geschubst und gerempelt. Ganz offensichtlich gab es an der Byler High viele wütende Kinder, die darauf brannten, sich mal so richtig zu prügeln.
    Schon in der sechsten Klasse dachte ich, die Mittelstufe würde

Weitere Kostenlose Bücher