Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
von meiner Suspendierung erzählte. »Wie peinlich«, sagte er. »Noch eine Premiere für die Familie Holladay.« Nachdem ich ihm erklärt hatte, dass ich mich für Liz geprügelt hatte, sagte er: »Tja, dann hast du wohl getan, was du deiner Meinung nach tun musstest, aber es wird unser allgemeines Ansehen nicht gerade heben.«
Das Komische war, dass es das doch tat. Als ich wieder in die Schule kam, behandelten mich die anderen irgendwie vorsichtiger. Auf einmal war ich nicht mehr das Neon-Mädchen. Stattdessen war ich jetzt das Mädchen-das-Lisa-Saunders-vermöbelt-hat. Anscheinend war das schon ein Fortschritt. Die Hänseleien hörten fast auf, und ein paar Kinder gaben sich tatsächlich Mühe, freundlich zu sein. Als hätten sie die Anzeige gegen Maddox praktisch als Petzerei verbucht – wie wenn man zum Lehrer läuft und andere anschwärzt –, aber wenn man richtig hinlangte, tja, das quittierten sie mit Hochachtung.
Liz hatte es weiterhin schwer. Dann wurde für den Prozessbeginn ein Termin im März festgelegt, und die ganze Stadt musste einsehen, dass die Sache nicht einfach so im Sande verlaufen würde. Von da an wurde uns klar, dass wir uns mit sehr viel Unangenehmerem herumzuschlagen hätten als nur mit der knochennasigen Lisa Saunders und ihren Freundinnen.
Der Rasen und die Einfahrt von Mayfield wurden plötzlich zugemüllt. Wenn wir morgens aufstanden, lag überall Abfall herum – dreckige Pampers, leere Flaschen RC Cola und leere Dosen Campbell’s Fertignudeln in Tomatensoße, Plastiktüten, geschreddertes Papier und diese zylinderförmigen Pringles-Behälter. Das ganze Zeug stank förmlich nach Maddox.
Eines Tages waren wir auf dem Weg zur Bushaltestelle, als plötzlich Maddox’ schwarzer Le Mans wie aus dem Nichts auftauchte. Maddox saß am Steuer, vorgebeugt wie ein Rennfahrer. Er kam auf Liz und mich zugerast und wich so knapp vor uns aus, dass wir in den Graben springen mussten, um nicht erfasst zu werden. Wir spürten den Luftsog, als der Wagen vorbeijagte. Ich schnappte mir einen Stein und warf ihn hinter ihm her, doch so schnell, wie der Le Mans war, verfehlte ich ihn natürlich.
Danach war es, als würde Maddox fast jeden Tag durch die Gegend fahren und nach uns Ausschau halten, um uns von der Straße zu drängen, wenn wir zu Fuß von der Schule nach Hause gingen oder mit den Rädern in die Stadt fuhren. Irgendwann lauschte ich schon auf das Dröhnen des Le Mans, wenn ich nur das Haus verließ. Ich fing an, immer eine Tasche voll mit Steinen dabeizuhaben, und ich verpasste seinem Wagen mindestens eine hübsche Beule, aber meistens war Maddox zu schnell wieder weg, als dass ich ihn erwischen konnte.
Wir erzählten Onkel Tinsley nichts davon. Wir dachten auch nie ernsthaft darüber nach, zur Polizei zu gehen, weil wir sowieso nichts beweisen konnten und die Anzeige gegen Maddox uns bislang nichts als Ärger eingebracht hatte. Aber bei Liz zeigte Maddox’ Taktik schon nach kurzer Zeit Wirkung. Sie hatte panische Angst und wollte nicht mehr aus dem Haus gehen. Sie redete jetzt auch immer öfter von den Stimmen, die sie warnen würden, dass Maddox hinter jedem Busch und Baum auf der Lauer läge.
Ich versicherte Liz – und mir selbst – wieder und wieder, die Stimmen wären nur vorübergehend und würden verschwinden, sobald Maddox erst mal verurteilt war und im Gefängnis saß. Inzwischen hatten wir Dezember, bis zu dem Prozess waren es noch drei Monate, und ich war ganz krank vor Sorge, dass Liz nicht mehr so lange durchhalten würde. Ich überlegte sogar, ob wir die Anzeige zurückziehen sollten. Aber wenn wir jetzt einen Rückzieher machten, wüsste Maddox, dass er mit seinen Einschüchterungen Erfolg gehabt hatte. Dann bliebe uns keine andere Wahl, als die Stadt zu verlassen, weil ich mir nämlich nicht vorstellen konnte, mit dem Fahrrad durch Byler zu fahren und jeden Moment damit rechnen zu müssen, dass ich dem Mann begegnete und er mich so angrinsen würde, wie Schlägertypen die Leute angrinsen, mit denen sie machen können, was sie wollen. Und die Stadt zu verlassen wäre keine Lösung. Maddox würde Liz verfolgen, zumindest in ihrem Kopf, und davon würden die Stimmen vielleicht noch schlimmer.
Nein, es gab für mich nur eine Lösung: Ich konnte nicht bis zu dem Prozess warten. Ich würde Jerry Maddox töten müssen.
39
I ch hatte kein Auto, um Maddox über den Haufen zu fahren, also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Hinter Maddox’ Haus war ein
Weitere Kostenlose Bücher