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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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Hügel mit vielen Felsen und Gesteinsbrocken. Einer davon war mir besonders aufgefallen, als ich für die Maddox arbeitete, und damals hatte ich gedacht, wenn der mal ins Rollen käme, würde er einigen Schaden anrichten. Vielleicht sogar jemanden töten. Also beschloss ich, ihn selbst ins Rollen zu bringen.
    Ich würde mich dahinter verstecken, bis Maddox auf die rückwärtige Veranda trat, was er jeden Tag machte, um auf das Thermometer zu schauen und das Zeug aus seinem Schredder in die Mülltonne zu stopfen, und dann würde ich den Felsbrocken kräftig anstoßen, damit er den Hang runterkullerte und Maddox zerquetschte wie einen Käfer.
    Am nächsten Tag nach der Schule fuhr ich auf dem roten Schwinn nach Byler, stellte es an dem Fahrradständer vor der Bibliothek ab und schlich mich durch den Garten eines Nachbarn zu dem Hügel hinter Maddox’ Haus. Ich kletterte durch die Krüppelkiefern zu dem Felsen, der ungefähr die Größe eines Sessels hatte und auf einer Seite von Flechten überwuchert war. Ich drückte probeweise gegen den Felsen, um zu sehen, wie locker er war, und merkte, dass ich ihn keinen Millimeter bewegen konnte. Das Ding wog mindestens eine Tonne.
    Ich brauchte einen Partner.
     
    Liz war für so einen Einsatz ungeeignet, und Onkel Tinsley zu bitten war völlig ausgeschlossen. Der einzige Mensch, an den ich mich wenden konnte, war Joe Wyatt. Ich hatte ihm natürlich schon alles über Maddox’ Einschüchterungskampagne erzählt, und so erläuterte ich ihm am nächsten Tag in der Schule meinen Plan und fragte, ob er bereit wäre, mir zu helfen.
    »Wann soll’s losgehen, Cousine?«, fragte er.
    Ich beschrieb ihm, wie groß und schwer der Felsen war. Joes Schulnoten waren nicht besonders gut, aber in praktischen Fragen war er richtig schlau, und er erklärte, dass wir einen Hebel bräuchten, um den Felsen ins Rollen zu bringen. Sein Dad hatte eine Brechstange, die dafür geeignet wäre.
    Am nächsten Tag traf ich mich mit Joe vor der Bibliothek. Er hatte die schwere Eisenstange dabei. Wir schlichen uns in das Wäldchen hinter Maddox’ Haus, kletterten den Hang hinauf, und ich zeigte Joe den Felsen. Er klemmte die Brechstange darunter, aber der Felsen rührte sich nicht. Joe schob einige kleinere Steine unter die Stange, um einen Drehpunkt zu haben, und als wir dann gemeinsam auf das längere Ende der Stange drückten, bewegte sich der große Felsen ein Stückchen.
    »Das müsste reichen«, sagte Joe.
    »Maddox ist geliefert«, sagte ich.
    Wir setzten uns auf Kiefernnadeln, die den Boden bedeckten, und warteten.
    Nach etwa einer Stunde hörten wir den Zug pfeifen und das Rumpeln und Quietschen der Räder auf den Gleisen, die mitten durch Byler verliefen. Nachdem das Geräusch verklungen war, ging die Hintertür auf. Wir rappelten uns hoch und packten das lange Ende der Brechstange. Doch statt Maddox trat Doris aus der Tür. Sie war kurz zuvor niedergekommen und trug das rosagesichtige Neugeborene auf dem Arm. In der freien Hand hielt sie eine Mülltüte.
    Ich spürte, wie mein Körper zusammensackte. Die ganze Energie, die ich aufgeboten hatte, um Maddox zu töten, verließ mich mit einem Schlag. So sauer ich auch auf Doris war, weil sie zu ihrem Mann hielt, ich wollte sie nicht töten – und das kleine Baby schon gar nicht. In dem Moment wurde mir klar, dass ich eigentlich überhaupt niemanden töten wollte, nicht mal Maddox. Er war ein übler Kerl, aber ihn umzubringen, brachte ich einfach nicht fertig.
    »Vielleicht ist das doch keine so gute Idee«, sagte ich.
    »Dasselbe hab ich auch gerade gedacht«, sagte Joe.
    Wir sahen zu, wie Doris den Deckel von dem Mülleimer hob, die Tüte hineinwarf und den Deckel wieder auflegte, ohne das Baby abzusetzen. Dann ging sie zurück ins Haus, ohne auch nur einen Blick in unsere Richtung zu werfen. Joe zog die Brechstange unter dem Felsen weg. »War aber ein richtig hübscher Drehpunkt«, sagte er. »Wenn wir gewollt hätten, hätten wir’s geschafft.«
    Wir gingen von dem Haus weg über die Kuppe.
    »Heißt das jetzt, wir sind Waschlappen?«, fragte ich.
    »Nee«, sagte Joe. Er trat gegen einen Kiefernzapfen auf dem Pfad. »Weißt du, was? Wir könnten Maddox da treffen, wo’s ihm richtig wehtut.«
    »Wovon redest du?«
    »Von dem Le Mans.«

40
    J oe und ich überlegten zuerst, ob wir die Windschutzscheibe einschlagen sollten, aber das würde einen Heidenkrach verursachen, und Maddox käme dann mit Sicherheit aus dem Haus gerannt. Dann schlug ich

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