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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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Pistole
Jerry Maddox
    Mir wurde heiß im Gesicht, und meine Hände ballten sich zusammen, als müssten sie irgendwas packen und zerfetzen. Ich stürzte mich, ohne zu überlegen, auf Lisa Saunders und schrie: »Du hältst dich wohl für was ganz Besonderes, aber dir werd ich’s zeigen!«
    Dann war da nur noch wildes Haar, an dem ich zerrte, Haut, die ich zerkratzte, Arme, auf die ich eindrosch, und Stoff, den ich zerriss. Lisa Saunders’ Finger in meinem Gesicht krallten und kratzten zurück, aber es tat nicht weh. Ich spürte nur blinde Wut. Wir rollten auf dem Boden, stöhnten und schrien und traten und grapschten und schlugen drauflos. Im Nu hatte sich ein Kreis von Schülern um uns gebildet. Sie johlten und klatschten, feuerten uns an, nicht mich oder Lisa, sondern uns beide, damit wir weitermachten. Schlagt euch! Schlagt euch! Hau ihr eine rein! Verpass ihr eine!
    Dann spürte ich ein anderes Paar Hände auf mir, Männerhände. Mr Belcher, der Biolehrer, hatte sich durch die Umstehenden gedrängt und zog uns auseinander. Ich hechelte wie ein Hund und bebte vor Zorn, aber ich stellte erfreut fest, dass ich Lisa Saunders ordentlich zugerichtet hatte. Ihre knochige Nase blutete, Wimperntusche lief ihr übers Gesicht, und ich hatte nicht nur ihre Pferdeschwanzspange herausgerissen, sondern auch ein dickes Büschel Haare gleich mit.
    Lisa Saunders’ Freundinnen fingen an, mich zu beschuldigen, ich hätte die Prügelei angefangen. Als Mr Belcher uns beide am Arm packte und zum Büro des Direktors schleppte, kamen sie hinterher und beteuerten entrüstet, Bean Holladay wäre aus heiterem Himmel und völlig grundlos auf Lisa losgegangen.
    Der Direktor war nicht da, also bugsierte Mr Belcher uns in das Büro von Miss Clay, der stellvertretenden Direktorin. »Pausenprügelei«, sagte er.
    Miss Clay musterte uns über ihre Lesebrille hinweg. »Danke, Mr Belcher«, sagte sie. »Setzt euch, Mädchen.« Sie hielt uns eine Kleenex-Packung hin. Ich wollte das mit dem Freundschaftsantrag erklären, weil es darum ja bei der Prügelei gegangen war, doch Miss Clay schnitt mir das Wort ab. »Das tut nichts zur Sache.« Dann hielt sie uns eine Standpauke von wegen, wie enttäuscht sie von uns war, weil wir uns derart ungehörig benommen hatten, und welches Benehmen an der Byler High angemessen war und welches nicht. »Mädchen, die sich prügeln«, sagte sie. »Das ist so undamenhaft.«
    »Undamenhaft?«, fragte ich. »Meinen Sie, mich interessiert, was damenhaft ist und was nicht?«
    Ich war noch immer außer mir. Und als mir klarwurde, dass Miss Clay nichts von dem widerlichen Freundschaftsantrag hören wollte, regte ich mich noch mehr auf. Also erklärte ich, wenn die Lehrer getan hätten, wozu sie da waren, nämlich sich um ihre Schüler zu kümmern und nicht einfach wegzuschauen, wenn eine von ihnen schikaniert wird, dann hätten diese Mädchen nicht auf meiner Schwester rumgehackt, und ich hätte sie nicht verteidigen müssen.
    Miss Clay riss sich die Lesebrille von der Nase. »Ich verbitte mir diesen Ton, junge Dame. Wo bleibt dein Respekt vor Erwachsenen?«
    »Ich respektiere Leute, die ihre Arbeit machen«, sagte ich. »Leute zu respektieren, bloß weil sie erwachsen sind, ist Schwachsinn. Jerry Maddox ist erwachsen. Soll ich ihn deshalb respektieren?«
    »Versuch nicht, das Thema zu wechseln«, sagte sie. »Jerry Maddox hat nichts hiermit zu tun.«
    »Aber klar hat er das«, sagte ich. »Und das wissen Sie auch, und wenn Sie so tun, als wüssten Sie’s nicht, dann sind Sie genauso bekloppt wie alle anderen.«
    »Jean Holladay, du hast ein freches Mundwerk. Du bist suspendiert.«
    »Wie bitte?«
    »Du kannst die nächsten drei Tage zu Hause bleiben und über dein Verhalten nachdenken.«
    »Was ist mit ihr?« Ich zeigte auf Lisa Saunders, die kein Wort gesagt hatte und stattdessen ganz sittsam dagesessen, ihre verwischte Wimperntusche mit dem Kleenex betupft und möglichst arglos dreingeblickt hatte. »Sie hat sich auch geprügelt. Und sie hat das über Liz geschrieben, was ich Ihnen die ganze Zeit erzählen will.«
    »Mich interessiert nicht, worüber ihr beiden euch gestritten habt«, sagte Miss Clay. »Die Schule geht diesen Zankereien nie auf den Grund, denn das ist meiner Ansicht nach unerheblich. Du wirst nicht wegen der Prügelei suspendiert. Du wirst suspendiert, weil du dir gegenüber der stellvertretenden Direktorin verbale Entgleisungen erlaubt hast.«

38
    O nkel Tinsley war ziemlich aufgebracht, als ich ihm

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