Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
vor, den Lack zu zerkratzen, aber die Idee verwarfen wir auch gleich wieder, weil das nur kosmetischen Schaden anrichten würde und Maddox weiter rumfahren und versuchen könnte, uns über den Haufen zu fahren. Schließlich fanden wir es am besten, den Le Mans bewegungsunfähig zu machen, indem wir die Reifen zerstachen. Maddox würde natürlich neue kaufen, aber wir hätten es ihm ordentlich gezeigt – und die neuen Reifen könnten wir ja dann auch wieder aufschlitzen.
Wir warteten bis zum Wochenende, dann war Maddox meistens zu Hause. Wir brauchten den Schutz der Dunkelheit, und Joe schlug vor, wir sollten uns bei Einbruch der Dämmerung vor der Bibliothek treffen. Er habe immer sein Taschenmesser dabei, sagte er, weshalb ich mir wegen der Ausrüstungsfrage nicht den Kopf zerbrechen musste. Er sagte, er würde am Tag davor Maddox’ Straße auskundschaften und sich einen Angriffsplan überlegen. Wir sollten unbedingt dunkle Sachen anziehen, schob er nach. »Tarnkleidung«, erklärte er. Joe machte sich eine Menge Gedanken über diese »Operation«, wie er es nannte.
Als ich zur verabredeten Zeit vor der Bibliothek ankam, wartete Joe neben dem Fahrradständer. Ich setzte mich auf den Gepäckträger des Schwinn, er schwang sich in den Sattel, und dann radelten wir zu Maddox’ Straße. Die Sonne ging gerade unter. Es war ein farbloser Dezember-Sonnenuntergang, der ganze Himmel nur silbrig, weiß und grau.
Als wir in die Straße bogen, sahen wir gleich den Le Mans im Carport stehen. Joe sagte, ich sollte mich mit dem Schwinn hinter einem Ilexbusch an der Straßenecke verstecken. Meine Aufgabe war es, Schmiere zu stehen, und falls sich irgendwer näherte, ob zu Fuß oder in einem Auto, sollte ich möglichst laut eine Eule nachmachen. Inzwischen war die Sonne ganz untergegangen, die Straßenlampen brannten und warfen rötliche Lichtkreise. Während ich hinter dem Ilexbusch wartete, spazierte Joe lässig die Straße hinunter und schaute sich um. Als er sah, dass die Luft rein war, duckte er sich hinter einen großen Rhododendron, ein paar Grundstücke von den Maddox entfernt.
Ich beobachtete aus meinem Versteck, wie Joe von Busch zu Busch huschte, hinter jedem kurz stoppte, um die Lage zu peilen. Als er den Busch erreichte, der dem Haus der Maddox am nächsten war, legte er sich auf den Bauch und robbte rüber zu dem Le Mans.
Ich konnte Joe nicht mehr sehen, als ein Verandalicht an dem Haus gegenüber von den Maddox anging. Die Haustür öffnete sich, und eine ältere Lady ließ einen kleinen Hund raus. Ich fing an, wie verrückt Huhuuhuu zu rufen. Das Hündchen hörte das und bellte los. Plötzlich kam Joe in vollem Tempo auf mich zugerannt. Ich hatte das Fahrrad startklar, Ständer hochgeklappt, als er bei mir ankam.
»Hab zwei Reifen geschafft«, keuchte er und sprang auf. Ich hüpfte auf den Gepäckträger und stieß uns mit beiden Füßen ab, während Joe mit aller Kraft in die Pedale trat.
Wir fuhren außen um die Stadt herum statt mittendurch, und fünfzehn Minuten später waren wir am Fuß des Weberhügels. Kurz vor der Stelle, wo Joe absteigen würde, um das letzte Stück zu Fuß zu gehen, und ich Richtung Mayfield abbiegen würde, tauchte ein Streifenwagen neben uns auf. Der Polizist zeigte zum Straßenrand. Joe hielt an, der Polizist parkte hinter uns. Er ließ den Motor laufen und die Scheinwerfer an und stieg aus. Während er auf uns zukam, setzte er seinen breitkrempigen Hut auf und zog den Kinnriemen fest.
»Wieso habt ihr es denn so eilig?«, fragte er.
»Ich muss zum Abendessen zu Hause sein«, sagte Joe.
»Wir haben eine Meldung reingekriegt, dass drüben auf der Willow Lane ein paar Reifen aufgeschlitzt worden sind«, sagte der Polizist. »Weißt du was darüber?«
»Nein, Sir«, sagte Joe.
»Heißt das, du bist es nicht gewesen?«
»Jawohl, Sir.«
»Du streitest es also ab?«
»Jawohl, Sir.«
»Wir sind bloß Fahrrad gefahren«, sagte ich.
»Mit dir rede ich nicht«, sagte der Polizist. Er sah wieder Joe an. »So, Freundchen, jetzt leer mal schön deine Taschen aus und leg alles auf die Kühlerhaube.«
Joe seufzte. Er stieg vom Rad und kramte alles aus seinen Taschen: Schlüssel, Kleingeld, Schnur, ein paar Schrauben, eine Kastanie und das Taschenmesser.
Der Polizist nahm das Messer und klappte es auf. »Das ist eine Waffe«, sagte er.
»Das ist mein Schnitzmesser«, sagte Joe.
»Es ist eine tödliche Waffe«, sagte der Polizist. »Du kommst mit.« Er öffnete die hintere Tür
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