Die Angst der Boesen
anderen Leben, wenn er erzählte, welche spannenden Exkursionen er mit der Uni machte, wie er ins Ausland fuhr, wie er alles kennenlernte, Sprachen, Menschen, Hauptstädte der Welt.
Also, los, die Haare noch mal gerichtet und das pinke Shirt so weit runtergezogen wie möglich. Ihre Haut war duschgel-duftig und nachschwitzwarm – wenn das nicht verlockte, was dann?
Sophia, die Schnecke, die ihr schon manchen Abend vermasselt hatte, weil sie beim Umziehen unendlich langsam war, sagte: »Ciao, ciao«, und knallte die Tür hinter sich zu.
Es war zwanzig vor sechs. Das Training war heute ausnahmsweise vorverlegt worden. Ein Vorteil für Lilly. Falls ihr Ex und erneuter Verehrer auf die dämliche Idee kommen sollte, sie abzuholen, würde er jetzt erst auf dem Weg zum S-Bahnhof sein. Sie mochte Sven immer noch, keine Frage, aber Schluss war nun mal Schluss, auch wenn er das nicht begreifen wollte.
Bis zehn zählen und dann, dachte Lilly. Sie riss die Tür auf, sah ihn , wie er gerade die Bälle raustrug, der Trainerin der ersten Mannschaft zuwinkte und alleine auf sein quietschgrünes Auto zusteuerte.
Lilly zögerte keine Sekunde. »Jan-Olli!«
»Den Bus verpasst?«, sagte er, ohne sich umzudrehen. An seinem Tonfall hörte sie, dass er dabei grinste.
»Ja, du, rein zufällig.« Sie holte ihn ein.
Er öffnete den Kofferraum, warf seine Sportsachen und die Balltasche hinein und sah sie direkt an. »Und jetzt? Taxi gefällig?«
»Mhm«, machte sie mit trockner Kehle. Sie hätte ihn sofort küssen können.
Er wusste eh Bescheid. Ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, wie es um sie stand. Schnell glitt ihr Blick einmal über Parkplatz und Eingangsbereich. Sie waren allein.
»Okay, ich fahr dich. Aber das darf nicht zur Dauereinrichtung werden.«
»Klaro.«
Jan-Oliver kniff kurz die Augen zu und gluckste. Das war das Zeichen, dass er einverstanden war.
»Ah, Jan-Ollis berühmtes Sternschnuppenschmunzeln«, sagte sie.
»So nennst du das?«
»Ja. Und wenn du richtig lachst, schiebst du die Zunge zwischen die Schneidezähne, ohne dir draufzubeißen, das finde ich am süßesten.«
Daraufhin tauschten sie beide ein Lächeln. Erst zaghaft, dann immer breiter.
So lief das bei ihnen immer: Nach einer Auftauphase fingen sie an zu flirten. Sie quatschten, alberten herum.
Mit Jan-Olli konnte Lilly stundenlang reden. Ihr Heimweg dauerte mit dem Auto nur neun Minuten, aber siewar sicher, wenn er sie in seiner Klapperkiste bis ans Ende der Welt mitgenommen hätte, wäre ihnen der Gesprächsstoff zwischendurch trotzdem nicht ausgegangen. Wäre das schön – mit Jan-Olli losfahren und plötzlich merken, dass man durch einen Zauber nicht von der Straße runterkommt, dass man zwar rasten kann, aber ansonsten weiterfahren muss, raus aus der Stadt, über die Berge, auf ein Schiff und durch die Wüste, und dann bliebe man für immer in einer Oase. Oder zumindest für eine Nacht unter Sternen.
Mit Sven wäre das unmöglich. Sven wollte alles sofort und er wollte niemals weg aus seiner Stadt, weil er woanders ja keinen kannte. Als Straße wäre Sven eine Sackgasse, Jan-Oliver der endlose Highway.
Jan-Olli fiel plötzlich ein, dass er noch kurz zur Sparkasse musste, daher fuhren sie einen anderen, längeren Weg als sonst, was ihr natürlich gut passte.
Als er im Ort parkte, blieb sie im Auto und genoss es, dort zu sitzen, als wäre sie seine Freundin. Sie öffnete das Handschuhfach, legte eine CD ein, drehte die Lautstärke hoch und machte die Fenster auf, um jedem zu signalisieren, dass dies hier ihr Platz war. Dann kam Jan-Olli zurück und hatte nicht nur seine Kontoauszüge, sondern auch zwei Eishörnchen geholt.
»Danke! Ich hab in der Umkleide so gebetet, dass die lahme Sophia endlich abzischt, damit ich mit dir fahren kann.«
»Du bist ja eine ganz schön freche Nudel.«
»Ist das ein Kompliment?«
Er neigte Eis schleckend den Kopf zu ihr rüber: »Kommt drauf an. Findest du Frechsein gut?«
»Klar. Brave Mädchen müssen ständig Sachen machen, die sie nicht wollen.«
»Zum Beispiel?«
Sie biss auf ein dickes Stück Schokolade im Stracciatella-Eis, aber ihre Stimme klang bitter: »Alles Mögliche.«
»Hm«, machte er und einen Moment herrschte Schweigen. Lillys Ansicht nach war es ein gut erträgliches, gefräßiges Schweigen, denn obwohl sie gerade selbst ein gefährliches Thema angeschnitten hatte, spürte sie, dass es sie jetzt nicht mit sich wegspülen würde. In diesem Augenblick mit Jan-Olli konnte sie
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