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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Kieferorthopäden aus dem Aufzug.
    »Na, hast du dir wieder ’nen Krankenschein abgeholt, Paule? Du machst auch nur noch blau.«
    »Wenn es so wäre, hätte ich allen Grund dazu.« Weil er noch aufgewühlt war, sagte er ihr, warum er eben beim Arzt gewesen war.
    Obwohl er das Gespräch mit ihm gar nicht erwähnte, wurde sie daraufhin gleich noch eine Stufe zickiger. »Erzähl bloß keinem von der Sache!«
    »Keine Sorge, ich bin nicht blöd«, log er. »Aber ich mache mir nun mal etwas mehr Gedanken als du.«
    »Woher willst du das denn wissen?«
    »Ich hab in der Woche danach jeden Tag im Internet gesucht, ob ich Hinweise auf das Schicksal des Penners finde«, flüsterte er.
    »Und?«
    Paul schüttelte den Kopf. Er hatte nichts entdeckt. In keiner der Online-Tageszeitungen war eine Nachricht erschienen, die von einem Überfall auf einen jungen Obdachlosen in Bremerhaven berichtete. Das beruhigte Paul immerhin ein bisschen, denn das musste wohl heißen, dass der Mann nicht nur überlebt, sondern auch auf eine Anzeige verzichtet hatte. Auch der andere, der am Handy Ohrenzeuge geworden war, schien nicht aktiv werden zu wollen. Allerdings hatte Paul irgendwann nicht mehr weiter nachgeschaut und jetzt bekam er plötzlich das ungute Gefühl, dass sie sich darüber nicht sicher sein konnten.
    »Du denkst zu viel. Das ist überhaupt dein Problem.«
    »Mensch, Tatjana, der Typ könnte tot sein, ist dir das klar?«
    »Doch nicht von so ’m bisschen Dresche.« Sie drehte sich abrupt weg und fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung durchs Gesicht.
    Paul schüttelte den Kopf. »Das weißt du auch gerade. Du hast nur am Rand gestanden und zugeguckt. Dir geht das am Arsch vorbei. Das ist nämlich dein Problem: Du hast überhaupt kein Gefühl für andere Menschen. Deshalb läuft’s auch zwischen dir und Lilly nicht. Weil du nicht merkst, wann du andere verletzt.«
    »Stimmt nicht.« Tatjana wischte sich die Augen, als kämen ihr die Tränen. »Was fällt dir ein, so was zu sagen? Das ist doch nur dein eigenes schlechtes Gewissen. Außerdem: Eine Abreibung kriegen wir doch schließlich alle mal, frag die anderen. Frag sie mal, vor allem Sven und Ilkay. Glaubstdu, die haben zu Hause noch nie was eingesteckt? Stell dich bloß nicht besser dar, als du bist. Du bist kein Stück besser als wir. Richtig schlimm war nämlich, was du zum Schluss gemacht hast. Das war asozial.«
    »Das habe ich nur gemacht, weil die anderen mir keine andere Wahl gelassen haben.«
    Tatjana schenkte sich die Antwort. Sie drehte sich einfach um und verschwand in der Praxis.
    Paul folgte ihr nicht. Er hatte keine Lust mehr auf solche Diskussionen. Die Begegnung mit Tatjana hatte ihn schon genug runtergezogen. Seine Erleichterung darüber, gesund zu sein, war auch verflogen.
19
    Lilly ließ sich Zeit mit dem Anziehen, obwohl sie das Luftgemisch aus Schweiß, Wasserdampf und Haarspray im Umkleideraum nicht mochte und wusste, dass es ein Risiko war, allzu lange zu trödeln.
    Ein Mädchen nach dem anderen verabschiedete sich. Wenn Lilly den richtigen Zeitpunkt verpasste, wären nicht nur ihre Mannschaftskameradinnen und der 468er weg, sondern auch Jan-Oliver. Und den wollte sie ja gerade abpassen; sie wollte exakt die Letzte sein, die mit ihm zusammen die Halle verließ und dann auf dem in der Abendsonne schimmernden Parkplatz ausrief: »O nein, wie spät ist es denn? Ich verpasse den Bus.«
    Ein paarmal war ihr das bisher geglückt und er hatte angeboten: »Dann steig in mein Auto. Ich fahre den kleinen Umweg bei euch vorbei.«
    Die ersten Male waren noch im Frühjahr gewesen, da war es um neun dunkel und Ehrensache, dass der Trainer einMädchen nicht allein heimgehen ließ. Nach den Osterferien hatte es zweimal in Strömen geregnet. Beim letzten Mal, kurz vor der Schulabschlussfahrt, fehlte der Grund für eine Ausnahme, aber Jan-Oliver hatte sie trotzdem mitgenommen. Da war es fast schon so gewesen, als bräuchten sie keinen Grund mehr; ganz selbstverständlich waren sie zu seinem Auto gegangen.
    Danach hatte es allerdings nicht mehr geklappt, weil immer Mitspielerinnen in der Nähe gewesen waren. Jan-Oliver wollte nicht, dass jemand dachte, er würde ein Mädchen bevorzugen. Er wollte ein guter, fairer Trainer sein und alle gleich behandeln.
    Auf so eine Idee würde Sven nie kommen. Jan-Oliver hatte sowieso nicht die geringste Ähnlichkeit mit Sven. Jan-Olli, wie die Volleyballer ihn nannten, hatte Gefühl und war klug. Er weckte in ihr die Sehnsucht nach einem

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