Die Angst der Woche
Selbstmord begehen (die sogenannte Apoptose), oder aber Wächterzellen aus dem Immunsystem greifen ein und verhindern die weitere Vermehrung. Nur bei Versagen sämtlicher Reparatur- und Abwehrmechanismen kommt es zu einer weiteren und möglicherweise unkontrollierten Vermehrung. Aber das ist zumindest in jungen Jahren äuÃerst unwahrscheinlich. Eine Zelle, die sich wild teilt, muss das fast Unmögliche geschafft und sich an allen Kontrollmechanismen vorbeigemogelt haben.
Je älter der Körper, desto leichter hat es aber der Zufall, dieses fast Unmögliche zu schaffen. Damit wird es mit zunehmendem Alter immer wahrscheinlicher, dass es zu unkontrolliertem Wachstum kommt. Die Hunderttausende von Jahren, die der Homo sapiensals Jäger und Sammler in der Savanne gelebt hat, haben ihn nicht darauf vorbereitet, das unwahrscheinliche Alter von 70 oder 80 Jahren zu erreichen. Je länger ein Mensch lebt, desto mehr Zeit haben teilungsfähige Zellen, sich falsch zu teilen, und desto länger wirken natürliche und künstliche Strahlen, Gifte, Infektionen oder Parasiten auf den Körper ein. Zwar können wir bei gewissen Ernährungs- und Lebensgewohnheiten den Krebspatienten eine Mitverantwortung aufbürden, aber der grundlegende Mechanismus der Zellteilung mitsamt seinen Gefahren lässt sich nicht vermeiden. Mit anderen Worten, wer lange genug lebt, stirbt irgendwann auf jeden Fall an Krebs.
Die Frage ist nur, wann.
Dass also die Gesamtzahl der an Krebs Verstorbenen gewachsen ist und auch in Zukunft weiter wachsen wird und muss, hat den eher erfreulichen Grund, dass wir immer älter werden. In der vom Krebs besonders stark bedrohten Altersklasse der über 80-Jährigen lebten zum Beispiel 1970 in Deutschland nur zwei Millionen Menschen, 2010 dagegen über fünf Millionen, fast dreimal so viele. Und vor allem deshalb und nicht, weil Krebs als solcher so viel gefährlicher geworden wäre, sterben heute so viel mehr Menschen als seinerzeit an Krebs.
In einer gegebenen Altersklasse hat die Krebsgefahr sogar in aller Regel abgenommen! Die folgende Tabelle, aus einem Aufsatz von mir selbst und Gerd Gigerenzer, zeigt, wie viele Frauen in verschiedenen Altersklassen in den Jahren 1970 und 2001 an Krebs gestorben sind â in allen Altersklassen unter 85 ist die Krebsgefahr gesunken!
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So viele von je 10Â 000 deutschen Frauen verschiedener Altersklassen sind an Krebs gestorben
Alter
1970
2001
  0-4
7
3
  5-9
6
2
10-14
4
2
15-19
6
2
20-24
8
4
25-29
12
6
30-34
21
13
35-39
45
25
40-44
84
51
45-49
144
98
50-54
214
161
55-59
305
240
60-64
415
321
65-69
601
468
70-74
850
656
75-79
1183
924
80-84
1644
1587
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Für Männer sind die Zahlen ähnlich; hier gibt es allerdings eine Altersgruppe â meine eigene â, da ist die Krebsmortalität gestiegen. Ansonsten ist auch bei Männern die Gefahr, an Krebs zu sterben, in allen Altersklassen heute geringer als vor 40 Jahren.
Nun sind die Zahlen der Verstorbenen nicht gleich den Zahlen der Erkrankten. Zum Glück ist heute die Chance, eine Krebserkrankung zu überleben, sehr viel gröÃer als 1970, das heiÃt man kann nicht grundsätzlich ausschlieÃen, dass in gegebenen Altersklassen trotz Abnahme der Todesfälle die Erkrankungen dennoch zugenommen haben. Das halte ich aber für unwahrscheinlich. Denn geheilt heiÃt ja doch nur: fünf Jahre später noch am Leben. Selbst wenn wir also zugestehen, dass der Rückgang der Erkrankungen, besonders solcher in jungen Jahren, längst nicht so dramatisch ist wie der Rückgang der Todesfälle â spätestens in den höheren Jahrgängen müssten sich die zunächst geretteten Patienten wieder melden, der Krebstod wird ja nicht grundsätzlich verhindert, sondern nur um so und so viele Jahre aufgeschoben. Aber selbst in der Altersklasse 80 bis 84 ist die Krebsmortalität gesunken, und das deutet darauf hin, dass auch die Erkrankungsraten in jungen Jahren nicht gestiegen sind. »Seit 15 Jahren ist der Trend eindeutig, dass die altersentsprechende Krebshäufigkeit und -sterblichkeit in Europa wie in den USA zurückgeht«, sagt auch Nikolaus Becker, Epidemiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.
Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Der mit groÃem Abstand dominante Grund für die erhöhte Gesamtsterblichkeit an Krebs ist der wachsende Anteil von Menschen
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