Die Angst der Woche
Essen. Zumindest beim Rauchen stimmen â was selten vorkommt â die Wissenschaft, die Medien und die öffentliche Meinung in der Einschätzung der Gefahr auch überein. Auch Asbestfasern oder radioaktive Strahlen in hoher Konzentration bzw. Dosis erzeugen Krebs. Aber von diesen Grenzen sind die allermeisten krebserregenden Substanzen, mit denen die Medien ihre Leser verunsichern, meilenweit entfernt. Ob die in Pommes frites entdeckten Acrylamidkonzentrationen eine unmittelbare Gefahr für die Konsumenten bedeuten, könne man heute noch nicht beurteilen, kommentiert der Leiter eines Schweizer Labors seinen Acrylamidbefund. Und die Rückrufaktion für Chiliprodukte sei eine reine VorsichtsmaÃnahme, erklärte die Ãberwachungsbehörde in England, die Gefahr sei für den Verbraucher »wahrscheinlich nur gering«.
Und wenn dann später wirklich etwas beurteilt werden kann, kommt in aller Regel als Diagnose »Fehlalarm« heraus. Denn der auf Lebensmittelzusätze, sonstige Industrieprodukte oder Belastung am Arbeitsplatz zurückzuführende Anteil an Krebserkrankungen ist minimal. Die Tabelle auf Seite 148, einem Aufsatz der amerikanischen Epidemiologen Richard Doll und Richard Peto entnommen, teilt einmal alle Todesfälle durch Krebs in den USA nach den vermuteten Ursachen auf. Diese Zahlen sind zwar schon einige Jahre alt und betreffen ein anderes Land, aber ich vermute einmal, sie sehen für das aktuelle Deutschland nicht viel anders aus.
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Ursachen der Krebsmortalität in den USA
Ursache
Prozent
aller Todesfälle
Ernährung
35 Prozent
Rauchen
30 Prozent
Infektionen
10 Prozent
Sexualverhalten
7 Prozent
UV-Licht und natürliche
radioaktive Strahlung
5 Prozent
Beruf
4 Prozent
Luftverschmutzung
2 Prozent
Medizintechnik
1 Prozent
Industrieprodukte
< 1 Prozent
Nahrungsmittelzusätze
< 1 Prozent
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»Unsere Analyse des AusmaÃes synthetischer Gifte in Trinkwasser und synthetischer Pestizide in Nahrungsmitteln zeigt, dass diese im Vergleich zu natürlichen Krebserregern vernachlässigt werden können«, schreibt auch der wohl weltweit bekannteste und angesehenste Biochemiker Bruce N. Ames in Science, der renommiertesten aller Wissenschaftszeitschriften überhaupt . »Dieses Fazit stimmt auch mit epidemiologischen Untersuchungen überein. Zwar sollten wir bei jeder Art von Krebserregern Vorsicht walten lassen, aber wir brauchen ein Gleichgewicht zwischen einer verbreiteten Chemophobie mit ihren assoziierten hohen Kosten (und geringem Nutzen) und einem vernünftigen Management von Industriechemikalien aller Art.«
Von einem solchen Gleichgewicht sind wir aber in Amerika â und erst recht in Deutschland â noch weit entfernt. Nach Ames und Koautoren übertreffen die natürlichen, als krebserregend identifizierten Pestizide und Lebensmittelgifte in unserer Ernährung (Ethylalkohol in Bier und Wein, Sinigrin in Senf, Hydrazine in Pilzen usw.) die künstlichen Zusätze sowohl an Menge als auch an Gefährlichkeit bei Weitem. Und neuere Arbeiten zeigen, dass der auf künstliche Zusätze zurückführbare, ohnehin schon minimale Anteil aller Krebserkrankungen inzwischen nochmals weiter abgesunken ist.
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Der wahre Grund für das so angstmachende Fortschreiten der Todesursache Krebs ist die Art und Weise, nämlich die unkontrollierte Vermehrung von Körperzellen, wie überhaupt ein Krebs entsteht. Von diesen Körperzellen besitzt jeder Mensch rund zehn Billionen Stück. Und die teilen sich von Zeit zu Zeit, wenn auch unterschiedlich oft. Die Zellen der Darminnenwand etwa sind so teilungsfreudig, dass sich binnen vier Tagen die gesamte Innenwand erneuert. Die Zellen des Gehirns dagegen erneuern und teilen sich fast gar nicht. Zellteilung bedeutet dabei unter anderem, dass sich die im Zellkern gespeicherte genetische Information je zur Hälfte auf die alte und die neue Zelle verteilt, wo sie dann anschlieÃend wieder komplettiert werden muss. Bei diesem Kopieren und Ergänzen kann die DNS-Information fehlerhaft übertragen werden, das passiert ungefähr zehnmal am Tag. In der Regel setzt dann ein Reparaturmechanismus ein, der mehrere Stufen kennt und dem es egal ist, ob die Veränderung spontan, das heiÃt natürlich, auftritt oder von künstlicher Strahlung oder einer Chemikalie herrührt. Funktioniert er nicht, kann die Zelle immer noch
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