Die Angst der Woche
in den Alterklassen 80 plus. Denn da ist Krebs sozusagen die letzte Hoffnung des Sensenmannes. Man kann daher das Argument der Panikmacher geradezu umdrehen und folgern: Je mehr Menschen in einer Region an Krebs versterben, desto länger leben sie, desto besser sind dort Ernährung, Umwelt, Medizin und Lebensqualität im Allgemeinen. Käme ich noch mal zur Welt, und Gott im Himmel lieÃe mich wählen wo, dann würde ich ihm sagen: »Lieber Gott, bitte gib mir doch mal das Statistische Jahrbuch der UN.« Und dann suchte ich dort das Land mit der höchsten Krebsmortalität und würde sagen: »Bitte sehr, da will ich hin.«
Derzeit sind das (in dieser Reihenfolge) Japan, Island und die Schweiz. In Japan sterben derzeit 29,9 Prozent aller Menschen an Krebs, in Island 27,9 Prozent und in der Schweiz 27,7 Prozent. In Deutschland beträgt die Krebs-Mortalitätsrate »nur« 25,1 Prozent.
Dafür sterben die Menschen in Deutschland auch drei Jahre früher. Die Lebenserwartung für beide Geschlechter zusammen beträgt in Deutschland 79,4 Jahre, in der Schweiz 81,7, in Island 81,8 und in Japan 82,6 Jahre (allein für Frauen gerechnet ist die Lebenserwartung in allen Ländern mehrere Jahre höher). Das folgende Diagramm stellt diesen Zusammenhag auch grafisch dar. Man sieht sofort: Je mehr Krebs, desto länger das Leben, je weniger Krebs, desto früher kommt der Sensenmann.
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Zusammenhang zwischen Krebsmortalität und Lebenserwartung
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Das Problem, das diese unbedachten Wissenschaftskritiker so vehement verdrängen, ist so einfach wie unlösbar zugleich. Nämlich: Die letztendliche Sterblichkeitsrate ist immer 100 Prozent. Da können unsere Umweltschützer machen, was sie wollen. Sterben wir nicht an Krebs A, dann an Krebs B. Und sterben wir nicht an Krebs, dann an Alzheimer oder Herzinfarkt. Von den knapp über 800 000 verstorbenen Bundesbürgern jährlich sind ganze 6000 an Altersschwäche gestorben (was wir hier einmal als einen Indikator für einen Abschied ohne »offizielle« Krankheit nehmen wollen), die anderen haben ihren Tod einem Unfall, Mord und Selbstmord oder der einen oder anderen Krankheit zu verdanken.
Die einzige Frage ist: welcher Krankheit? Und je öfter hier die Antwort »Krebs« ertönt, desto ruhiger sollten eigentlich die Menschen schlafen.
Dazu stellt man sich am besten vor, dass die Risiken, die uns nach dem Leben trachten, wie Alzheimer, Krebs, Herzinfarkt, Autounfall, Mord und Totschlag usw., an einem Tisch zusammensitzen und um unser Leben würfeln. Der Würfel habe 100 Seiten, und die kleinste Zahl gewinnt. Angenommen, Krebs würfelt 49, Mord und Totschlag 25, Unfall 40, Herzinfarkt 78. Dann wird diese Person mit 25 durch Mord und Totschlag sterben. Würde sie nicht ermordet, stürbe sie mit 40 durch einen Autounfall, dann mit 49 an Krebs, andernfalls mit 78 an einem Herzinfarkt. Und wäre auch diese Todesursache beseitigt, würde unser Mustermann mit 83 an Alzheimer versterben.
Das Alter, das ein Mensch erreicht, ist also die bei diesem Spiel erreichte minimale Augenzahl. Diese minimale Augenzahl ist in Deutschland in den letzten 100 Jahren von durchschnittlich 45 zu Zeiten Bismarcks bis auf heute 77 für Männer und 82 für Frauen angestiegen, weil eine ganze Reihe von Mitspielern wie Typhus, Tbc und Cholera, die lange Jahre dieses Würfeln zu gewinnen pflegten, inzwischen ausgeschieden sind.
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Krebs hatte bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem deshalb schlechte Chancen, weil viele seiner Konkurrenten systematisch kleinere Zahlen würfelten. Erst mit dem Ausscheiden dieser Konkurrenten konnte auch der Krebs die eine oder andere Seele für sich gewinnen; inzwischen ist er sogar auf den zweiten Platz der Tabelle aufgerückt. Vielleicht wird er irgendwann sogar mal Erster.
Vielleicht aber auch nicht. Angenommen, ein Wundermediziner fände ein Wundermittel gegen Krebs, das allen bösen Zellen sagt: Höre auf, dich zu teilen. Viele Zeitgenossen sähen darin vermutlich den Beginn einer goldenen Zukunft für sich und die Menschheit. In Wahrheit fiele nur bei unserem makabren Würfelspiel ein weiterer Spieler aus.
Die Jahre, die wir dann im Durchschnitt länger leben würden, lassen sich mit der mathematischen Theorie der konkurrierenden Risiken auf den Monat genau vorherberechnen. Diese Theorie erlaubt es, für alle
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