Die Angst der Woche
sein.
Aber die Wahrscheinlichkeit, dass um ein gegebenes Kernkraftwerk eine derartige Häufung allein durch Zufall auftritt, ist doch für die Beurteilung der Leukämiegefahr völlig irrelevant! Die Wahrscheinlichkeit, dass ein gegebener Lottospieler sechs Richtige erzielt, ist so gut wie null. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Lottospieler sechs Richtige erzielt, ist so gut wie eins. Was wir also brauchen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass um irgendein Kernkraftwerk in irgendeinem Zeitraum dreimal mehr Leukämiefälle auftreten als anderswo. Derzeit gibt es Hunderte von Kernkraftwerken auf der Welt, zahlreiche neue werden gerade gebaut, auch das Desaster in Japan hält die meisten Auftraggeber nicht von dieser preiswerten Energieerzeugung ab. Und die Wahrscheinlichkeit, dass um irgendeinen dieser Standorte dreimal mehr Leukämiefälle auftreten als anderswo, ist ähnlich der, dass irgendein Lottospieler sechs Richtige erzielt, das heiÃt fast 100 Prozent.
Das Krümmel-Cluster beweist also gar nichts. Es ist eines von insgesamt 240, die im Rahmen der sogenannten EUROCLUS-Studie bei der Erhebung von 13 351 Fällen kindlicher Leukämie in insgesamt 17 Ländern gefunden worden sind. Nur bei vier der 240 identifizierten Cluster liegt ein Kernkraftwerk in der Nähe.
Aus den gleichen Gründen ist auch die Häufung von Leukämie um das geplante Endlager Asse in Niedersachsen ein Nichtindiz. Dort sind zwischen 2002 und 2009 zwölf Männer und sechs Frauen an Leukämie erkrankt; »normal« wären insgesamt sieben oder acht. Aber hat man eigentlich einmal gezählt, um wie viele Atomanlagen auf der Welt in den letzten Jahren kein einziger Fall von Leukämie gemeldet worden ist? Mit der gleichen Logik, nämlich aus einer groÃen Zahl von Kandidaten die zur jeweiligen These passenden herauszuziehen, könnten wir auch »beweisen«, dass die Kernkraft SchweiÃfüÃe oder Haarausfall erzeugt â mit einer Wahrscheinlichkeit nahe eins gibt es irgendwo auf der Welt ein Kernkraftwerk, in dessen Nähe Kahlköpfe oder SchweiÃfüÃe besonders häufig sind. Wer sucht, der findet. In den USA zum Beispiel findet man »signifikant« mehr Leukämie in der Nähe von katholischen Kirchen. Oder wie wäre es mit FuÃballstadien oder Parteibüros der Grünen?
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Der vorläufig letzte Versuch einer politisch motivierten Konstruktion von Schuldindizien ist eine von der Partei Bündnis 90/Grüne in Auftrag gegebene Studie des Bremer Epidemiologen Eberhard Greiser aus dem Jahr 2009. Darin wird zum x-ten Mal unter Missachtung fast aller Regeln der mathematischen Statistik »nachgewiesen«, dass in der Nähe von Kernkraftwerken in der Tat »signifikant« mehr Leukämiefälle bei Kindern auftreten als anderswo. Bzw. man behauptet, dieses nachzuweisen. Die wichtigsten Indizien dafür sind Tabellen wie die folgende; sie stellt für Kinder unter fünf Jahren und für insgesamt 69 Kraftwerke die in der Nähe aufgetretenen Leukämiefälle den erwarteten Fällen gegenüber, wenn dort die Leukämiehäufigkeit die gleiche wäre wie im Rest des jeweiligen Landes. Und siehe da: In der Nähe von Kernkraftwerken gibt es 158 Fälle mehr.
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Tatsächliche und erwartete Fälle von Leukämie bei Kindern unter fünf Jahren
Land
Kernkraftwerke
Erwartete
Fälle
Tatsächliche
Fälle
Kanada
2
48
58
Frankreich
19
108
114
Deutschland
15
525
593
GroÃbritannien
9
44
50
USA
24
1244
1312
insgesamt
69
1969
2127
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Die Daten für Kanada beziehen sich auf den Zeitraum 1964 bis 1980. Für Frankreich liegen Daten von 1990 bis 2001 und für England von 1969 bis 1993 vor. Hier enthält die obige Tabelle nur Fälle von myeloischer Leukämie, das sind weniger als ein Fünftel aller Fälle an kindlicher akuter Leukämie. Die Erkrankungsdaten aus den USA beziehen sich auf unterschiedlich lange Zeiträume, je nachdem, welches der verschiedenen Krebsregister zur Verfügung stand; alle enden aber im Jahre 2006. Insgesamt kommen so 69 Standorte zusammen, von denen man weiÃ, wie viele Kinder in deren Nähe in diesen Zeiträumen an Leukämie erkrankt sind und wie viele Erkrankungen bei Abwesenheit irgendwelcher Besonderheiten zu erwarten gewesen wären. Denn Leukämien treten auch in Landschaftsschutzgebieten, Alpentälern oder in der Gobi-Wüste
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