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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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das Wasser aufsaugte, ein Zeichen, und die Kellnerin kam durch die Burschen, die um die Theke standen, auf ihn zu und gab ihm als Wechselgeld mit Fingern, die kalt waren, Münzen heraus, die naß waren, die er sofort, indem er aufstand, in die Tasche steckte; ein Witz, dachte Bloch; vielleicht kam ihm der Vorgang deswegen so umständlich vor, weil er betrunken war.
    Er stand auf und ging zur Tür; er öffnete die Tür und ging hinaus – es war alles in Ordnung.
    Um sicher zu sein, blieb er eine Zeitlang so stehen. Ab und zu kam einer heraus und verrichtete die Notdurft. Andere, die neu dazukamen, fingen schon draußen, wenn sie die Musicbox hörten, mitzusingen an. Bloch entfernte sich.
    Zurück im Ort; zurück im Gasthof; zurück im Zimmer. Ganze neun Wörter, dachte Bloch erleichtert. Er hörte, wie über ihm das Badewasser abgelassen wurde; jedenfalls hörte er ein Gurgeln, zuletzt ein Schnaufen und Schmatzen.
    Er mußte kaum eingeschlafen sein, als er wiederaufwachte. Es kam ihm im ersten Moment vor, als sei er aus sich selber herausgefallen. Er bemerkte, wie er in einem Bett lag. Nicht transportfähig! dachte Bloch. Ein Auswuchs! Er nahm sich selber wahr, als sei er plötzlich ausgeartet. Er traf nicht mehr zu; war, mochte er auch noch so still liegen, ein einziges Getue und Gewürge; so überdeutlich und grell lag er da, daß er auf kein einziges Bild ausweichen konnte, mit dem er vergleichbar wäre. Er war, wie er da war, etwas Geiles, Obszönes, Unangebrachtes, durch und durch Anstoßerregendes; verscharren! dachte Bloch, verbieten, entfernen! Er glaubte sich selber unangenehm zu betasten, merkte dann aber, daß nur sein Bewußtsein von sich so heftig war, daß er es als Tastsinn auf der ganzen Körperoberfläche spürte; als ob das Bewußtsein, als ob die Gedanken handgreiflich, ausfällig, tätlich gegen ihn selber geworden seien. Wehrlos, abwehrunfähig lag er da; ekelhaft das Innere nach außen gestülpt; nicht fremd, nur widerlich anders. Es war ein Ruck gewesen, und mit einem Ruck war er unnatürlich geworden, war er aus dem Zusammenhang gerissen worden. Er lag da, unmöglich, so wirklich; kein Vergleich mehr. Sein Bewußtsein von sich selber war so stark, daß er Todesangst hatte. Er schwitzte. Eine Münze fiel zu Boden und rollte unter das Bett;er horchte auf: ein Vergleich? Dann war er eingeschlafen.
    Wieder das Aufwachen. Zwei, drei, vier, fing Bloch zu zählen an. Sein Zustand hatte sich nicht verändert, aber er mußte sich im Schlaf an ihn gewöhnt haben. Er steckte die Münze ein, die unter das Bett gefallen war, und ging hinunter. Wenn er aufpaßte und sich vorstellte, gab noch immer ein Wort schön das andre. Ein regnerischer Oktobertag; ein früher Morgen; eine staubige Fensterscheibe: es funktionierte. Er grüßte den Wirt; der Wirt legte gerade die Zeitungen in ihre Halter; das Mädchen schob ein Tablett in die Durchreiche zwischen Küche und Wirtsstube: es funktionierte noch immer. Wenn er sich in acht nahm, konnte es, eins nach dem andern, weitergehen: er setzte sich an den Tisch, an den er sich immer setzte; er schlug die Zeitung auf, die er jeden Tag aufschlug; er las die Notiz in der Zeitung, die besagte, daß man im Mordfall Gerda T. eine heiße Spur verfolgte, die in den südlichen Landesteil führte; die Kritzeleien auf dem Rand der in der Wohnung der Toten gefundenen Zeitung hätten die Untersuchung weitergebracht. Ein Satz ergab den nächsten Satz. Und dann, und dann, und dann … Man konnte einige Zeit im voraus beruhigt sein.
    Nach einiger Zeit ertappte sich Bloch, obwohler eigentlich immer noch in der Wirtsstube saß und vor sich aufzählte, was draußen auf der Straße vor sich ging, daß ihm ein Satz bewußt wurde, der lautete: ›Er war eben zu lange unbeschäftigt gewesen.‹ Da Bloch der Satz als ein Abschlußsatz erschien, überlegte er zurück, wie er daraufgekommen war. Was war vorher gewesen? Ja! Vorher, wie ihm jetzt einfiel, hatte er gedacht: ›Vom Schuß überrascht, hatte er den Ball durch die Beine rollen lassen.‹ Und vor diesem Satz hatte er an die Fotografen gedacht, die ihn hinter dem Tor irritierten. Und davor: ›Hinter ihm war jemand stehengeblieben, hatte dann aber nur seinem Hund gepfiffen.‹ Und vor diesem Satz? Vor dem Satz hatte er an eine Frau gedacht, die in einem Park stehengeblieben war, sich umgedreht hatte und etwas hinter ihm angeschaut hatte, wie man nur ein unfolgsames Kind anschauen konnte. Und davor? Davor hatte der Wirt von dem stummen

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