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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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den Tisch stellte und hinausging, nachrufen, daß er ein Fingerabdruck sei, eine Türklinke, ein Mantelschlitz, eine Regenlache, eine Fahrradklammer, ein Kotflügel, und so weiter, bis die Gestalt draußen mit dem Fahrrad aus dem Bild verschwunden war … Sogar die Unterhaltung und vor allem die Ausrufe der Leute, das So?, das Aha!, kamen einem so aufdringlich vor, daß man sie laut nachsprechen wollte, als Hohn.
    Bloch ging in eine Fleischhauerei und kaufte sich zwei Wurstsemmeln. Im Gasthaus wollte er nicht essen, weil das Geld allmählich knapp wurde. Er betrachtete die Wurstzipfel, die nebeneinander von einer Stange hingen, und zeigte, von welcher Wurst die Verkäuferin abschneiden sollte. Ein Kind kam herein, mit einem Zettel in der Hand. Der Zollwachebeamte habe die Leiche des Schülers zuerst für eine angeschwemmte Matratze gehalten, hatte die Verkäuferin gerade gesagt. Sie nahm aus einem Karton zwei Semmeln und schnitt sie auf, ohne ganz durchzuschneiden. Das Backwerk war schon so alt, daß es Bloch, als das Messer hineinschnitt, krachen hörte. Die Verkäuferin klappte die Semmeln auseinander und legte die Wurstscheiben dazwischen. Bloch sagte, er habe Zeit, sie solle das Kind vor ihm bedienen. Er sah, wie das Kind den Zettel stumm vor sich hinhielt. Die Verkäuferin beugte sich vor und las ab. Als sie dann das Fleisch durchhackte, rutschte es vom Brett und fiel auf den Steinboden. »Patsch!« sagte das Kind. Das Fleischstück war auf der Stelle liegengeblieben. Die Verkäuferin hob es auf, schabte es mit der Messerklinge ab und wickelte es ein. Draußen sah Bloch die Schulkinder, obwohl es nicht mehr regnete, mit aufgespanntem Regenschirm gehen. Er machte dem Kind dieTür auf und schaute zu, wie die Verkäuferin von dem Wurstzipfel die Darmhaut abriß und dann die Wurstscheiben in die zweite Semmel legte.
    Das Geschäft gehe schlecht, sagte die Verkäuferin. »Die Häuser stehen nur auf der Straßenseite, wo auch der Laden liegt, so daß erstens keine Leute gegenüber wohnen, die von dort aus sehen könnten, daß hier ein Laden ist, und zweitens die Leute, die vorbeikommen, nie auf der anderen Straßenseite gehen, deshalb auch zu dicht vorbeigehen und wieder übersehen, daß sich hier ein Laden befindet, zumal auch noch das Schaufenster nicht viel größer ist als die Wohnzimmerfenster in den Nebenhäusern.«
    Bloch wunderte sich, daß die Leute nicht auch auf der andern Straßenseite gingen, wo doch das Gelände frei sei und viel eher die Sonne hinkomme. Es gebe wohl ein Bedürfnis, an Häusern entlangzugehen! sagte er. Die Verkäuferin, die ihn nicht verstanden hatte, weil ihm mitten im Satz das Reden zuwider wurde und er nur noch murmeln konnte, lachte, als ob sie ohnehin einen Witz als Antwort erwartet hätte. Wirklich wurde es ja im Laden, als jetzt ein paar Leute am Schaufenster vorbeigingen, so finster, daß es einem wie ein Witz vorkam.
    Erstens … Zweitens … wiederholte Bloch beisich, was die Verkäuferin gesagt hatte; es kam ihm nicht geheuer vor, wie man zu reden anfangen und dabei schon wissen konnte, was man am Ende des Satzes sagen würde. Er aß die Wurstsemmeln dann draußen im Weitergehen. Er knüllte das Fettpapier, in das sie eingewickelt waren, zum Wegwerfen zusammen. Kein Papierkorb war in der Nähe. Eine Zeitlang ging er mit dem Papierknäuel in der Hand einmal in die eine, dann in die andere Richtung. Er steckte das Papier in die Rocktasche, nahm es wieder heraus und warf es schließlich durch einen Zaun in einen Obstgarten. Sofort kamen die Hühner von allen Seiten darauf zugerannt, kehrten aber wieder um, bevor sie das Knäuel aufgepickt hatten.
    Vor sich sah Bloch drei Männer schräg über die Straße gehen, zwei in Uniform, in der Mitte einen in einem schwarzen Sonntagsanzug, mit einer Krawatte, die ihm, vom Wind oder vom schnellen Laufen zurückgeworfen, hinten über die Schulter hing. Er schaute zu, wie die Gendarmen den Zigeuner in das Gendarmeriegebäude führten. Bis zur Tür waren sie nebeneinander hergegangen, und der Zigeuner, wie es schien, bewegte sich ungezwungen zwischen den Gendarmen und redete mit ihnen; als aber der eine Gendarm die Tür aufstieß, berührte der andre den Zigeuner,ohne ihn anzufassen, leicht von hinten am Ellbogen. Der Zigeuner blickte über die Schulter zu dem Gendarmen zurück und lächelte freundlich; der Hemdkragen unter dem Krawattenknopf war offen. Es kam Bloch vor, als sei der Zigeuner so sehr in einer Falle, daß er, als er am Arm

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