Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
waren? Und jetzt hob die Postbeamtin den Hörer ab und buchstabierte das Glückwunschtelegramm durch. Welche Andeutungen machte sie dabei? Was steckte dahinter, wenn sie ›Alles Gute‹ diktierte? ›Mit herzlichen Grüßen‹: was sollte das heißen? Für was standen diese Floskeln? Für wen waren ›Die stolzen Großeltern‹ ein Deckname? Schon am Morgen hatte Bloch in der Zeitung die kleine Anzeige ›Warum telefonierst Du nicht?‹ sofort für eine Falle gehalten.
Es kam ihm vor, als ob der Briefträger und die Postbeamtin im Bilde seien. ›Die Postbeamtin und der Briefträger‹, verbesserte er sich. Jetzt hatte ihn am hellichten Tag selber diese verhaßte Wortspielkrankheit befallen. ›Am hellichten Tag?‹ Er mußte irgendwie auf dieses Wort verfallen sein. Der Ausdruck kam ihm witzig vor, auf unangenehme Weise. Waren aber die anderen Wörter in dem Satz weniger unangenehm? Wenn man sich das Wort ›Krankheit‹ vorsagte, konnte man nach ein paar Wiederholungen nur noch darüber lachen. ›Eine Krankheit befällt mich‹: lächerlich. ›Ich werde krank‹: genauso lächerlich. ›Die Postbeamtin und der Briefträger‹; ›Der Briefträger und die Postbeamtin‹; ›Die Postbeamtin und der Briefträger‹: ein einziger Witz. Kennen Sie schon den Witz vom Briefträger und der Postbeamtin? ›Alles kommt einem wie eine Überschrift vor‹, dachte Bloch: ›Das Glückwunschtelegramm‹, ›Der Verschluß des Tintenfasses‹, ›Die Löschpapierkrümel auf dem Fußboden‹. Den Ständer, an dem die verschiedenen Stempel hingen, sah er wie gezeichnet. Er schaute ihn lange an, kam aber nicht darauf, was an dem Ständer witzig sein sollte; andrerseits mußte ein Witz daran sein: denn warum kam er ihm sonst gezeichnet vor? Oder war es wieder eine Falle? Diente der Gegenstand dazu, daß er sichversprach? Bloch schaute woandershin, schaute wieder woandershin, schaute wieder woandershin. Sagt Ihnen dieses Stempelkissen etwas? Was denken Sie, wenn Sie diesen ausgefüllten Scheck sehen? Was verbinden Sie mit dem Herausziehen der Schublade? Es kam Bloch vor, als sollte er das Inventar des Raums aufzählen, damit die Gegenstände, vor denen er beim Aufzählen stockte oder die er ausließ, als Indizien dienen könnten. Der Briefträger schlug mit der flachen Hand auf die große Tasche, die er noch immer umgehängt hatte. ›Der Briefträger schlägt auf die Tasche und hängt sie ab‹, dachte Bloch, Wort für Wort. ›Jetzt stellt er sie auf den Tisch und geht in den Paketraum.‹ Er beschrieb sich die Vorgänge, als könnte er sie sich dadurch erst vorstellen, wie ein Rundfunkreporter dem Publikum. Nach einiger Zeit half es.
Er blieb stehen, weil das Telefon läutete. Wie jedesmal, wenn das Telefon läutete, glaubte er, es schon einen Augenblick vorher gewußt zu haben. Die Postbeamtin hob ab, deutete dann auf die Kabine. Schon in der Kabine drinnen, fragte er sich, ob er die Handbewegung vielleicht mißverstanden hatte, ob sie vielleicht gar niemandem gegolten hatte. Er nahm den Hörer ab und bat seine frühere Frau, die sich, als ob sie wußte, daß er es sei, mit ihrem Vornamen gemeldet hatte, ihm postlagerndetwas Geld zu schicken. Ein eigenartiges Schweigen folgte. Bloch hörte ein Flüstern, das nicht für ihn bestimmt war. »Wo bist du?« fragte die Frau. Er habe kalte Füße bekommen und sitze auf dem trockenen, sagte Bloch und lachte wie über etwas sehr Witziges. Die Frau antwortete nicht. Wieder hörte Bloch das Flüstern. Es sei sehr schwierig, sagte die Frau. Warum? fragte Bloch. Sie habe nicht zu ihm gesprochen, antwortete die Frau. »Wohin soll ich das Geld schicken?« Er werde bald die Hosentaschen nach außen stülpen müssen, wenn sie ihm nicht unter die Arme greife, sagte Bloch. Die Frau schwieg. Dann wurde auf der anderen Seite der Hörer aufgelegt.
›Schnee vom vergangenen Jahr‹, dachte Bloch unvermutet, während er aus der Kabine trat. Wie war das gemeint? Tatsächlich hatte er gehört, an der Grenze gäbe es dermaßen verwildertes und dichtes Unterholz, daß man darin noch im frühen Sommer Flecken von Schnee antreffen könne. So hatte er es aber nicht gemeint. Außerdem hatte man in dem Unterholz nichts zu suchen. ›Nichts zu suchen?‹ Wie meinte er das? ›Wie ich es sage‹, dachte Bloch.
In der Sparkasse wechselte er den Ein-Dollar-Schein um, den er seit langem bei sich trug. Er versuchte auch einen brasilianischen Geldscheinzu wechseln, aber diese Währung wurde in der Sparkasse nicht
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