Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
berührt wurde, den Gendarmen nur noch hilflos freundlich anschauen konnte.
Bloch folgte ihnen in das Gebäude, in dem sich auch das Postamt befand; er glaubte einen Augenblick lang, wenn man sah, wie er in aller Öffentlichkeit eine Wurstsemmel aß, würde man nicht auf den Gedanken kommen, daß er in etwas verwickelt sei. ›Verwickelt?‹ Er durfte gar nicht daran denken, daß er seine Anwesenheit hier, beim Abführen des Zigeuners, durch irgendwelche Handlungen wie etwa das Wurstsemmelessen erst rechtfertigen mußte. Rechtfertigen konnte er sich nur, wenn er zur Rede gestellt und ihm etwas vorgehalten wurde; und weil er vermeiden mußte, überhaupt daran zu denken, daß er zur Rede gestellt werden könnte, durfte er auch nicht daran denken, sich im voraus Rechtfertigungen für diesen Fall zurechtzulegen; diesen Fall gab es gar nicht. Wenn man ihn also fragte, ob er zugeschaut habe, wie der Zigeuner abgeführt wurde, so brauchte er nicht zu leugnen und vorzugeben, er sei durch das Esseneiner Wurstsemmel abgelenkt gewesen, sondern konnte zugeben, daß er Zeuge der Abführung gewesen sei. ›Zeuge?‹ unterbrach sich Bloch, während er im Postamt auf die Verbindung wartete; ›zugeben?‹ Was hatten diese Wörter mit dem für ihn bedeutungslosen Vorgang zu tun? Gaben sie ihm nicht eine Bedeutung, die er gerade leugnen wollte? ›Leugnen?‹ unterbrach Bloch sich wieder. Es gab nichts zu leugnen. Er mußte sich vor Wörtern in acht nehmen, die das, was er ausdrücken wollte, zu einer Art von Aussage machten.
Er wurde in die Telefonzelle gerufen. Noch immer im Gedanken, den Eindruck zu vermeiden, er wollte eine Aussage machen, fand er sich dabei, wie er den Hörer am Griff mit einem Taschentuch umwickelte. Ein wenig verwirrt, steckte er das Taschentuch ein. Wie war er vom Gedanken ans unachtsame Reden auf das Taschentuch gekommen? Er hörte, der Freund, den er anrufen wollte, sei mit seiner Mannschaft vor dem wichtigen Spiel am Sonntag in einem Trainingslager kaserniert und könne telefonisch nicht erreicht werden. Bloch gab der Postbeamtin eine andere Nummer. Sie forderte ihn auf, zuerst das eine Gespräch zu bezahlen. Bloch zahlte und setzte sich auf eine Bank, wo er auf das zweite Gespräch wartete. Das Telefon läutete, und er stand auf. Aber es wurde nurein Glückwunschtelegramm durchgegeben. Die Postbeamtin schrieb mit und ließ sich dann Wort für Wort bestätigen. Bloch ging hin und her. Einer der Briefträger war zurückgekommen und rechnete laut vor der Postbeamtin ab. Bloch setzte sich. Draußen auf der Straße gab es jetzt, am frühen Nachmittag, keine Ablenkung. Bloch wurde ungeduldig, zeigte es aber nicht. Er hörte, wie der Briefträger erzählte, der Zigeuner habe sich die ganzen Tage in einem Unterstand der Zollwache an der Grenze versteckt gehalten. »Das kann jeder sagen!« meinte Bloch. Der Briefträger drehte sich nach ihm um und verstummte. Was er da als Neuigkeit ausgebe, fuhr Bloch fort, habe man schon gestern, vorgestern, vorvorgestern in der Zeitung lesen können. Was er rede, besage nichts, gar nichts, ganz und gar nichts. Der Briefträger hatte Bloch, noch während dieser sprach, den Rücken zugekehrt und unterhielt sich leise mit der Postbeamtin, in einem Gemurmel, das Bloch hörte wie jene Stellen in ausländischen Filmen, die man nicht übersetzte, weil sie ohnedies unverständlich bleiben sollten. Bloch kam mit seiner Bemerkung nicht mehr durch. Mit einem Mal erschien ihm die Tatsache, daß es gerade ein Postamt war, in dem er ›nicht mehr durchkam‹, nicht als Tatsache, sondern als schlechter Witz, als eine jener Wortspielereien, die ihm vonjeher, etwa bei Sportreportern, äußerst zuwider waren. Schon die Erzählung des Briefträgers von dem Zigeuner war ihm ja als plumpe Zweideutigkeit, als ungeschickte Anspielung vorgekommen, ebenso das Glückwunschtelegramm, in dem die Wörter so geläufig waren, daß sie einfach nicht so gemeint sein konnten. Und nicht nur, was geredet wurde, war eine Anspielung, sondern auch die Gegenstände ringsherum sollten ihm etwas andeuten. ›Als ob sie mir zuzwinkern und Zeichen geben!‹ dachte Bloch. Denn was sollte es bedeuten, daß der Verschluß des Tintenglases dick daneben auf dem Löschpapier lag und daß man das Löschpapier auf dem Schreibpult offensichtlich heute neu eingelegt hatte, so daß erst wenige Abdrücke darauf zu lesen waren? Und mußte man nicht statt ›so daß‹ richtiger ›damit‹ sagen? Damit also die Abdrücke zu lesen
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