Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
sie für einen Fehler beim Mischen hielt. Wirklich sah auch der Hintergrund nicht deswegen wie ein Himmel aus, weil man gewohnt war, sich im Hintergrund den Himmel zu denken, sondern weil der Himmel dort Strich für Strich hingemalt war. Er war so genau hingemalt, dachte Bloch, daß er einem fast gezeichnet vorkam; viel genauer jedenfalls als die Figuren im Vordergrund. Ob er aus Wut den Vogel dazugemalt hatte? Und hatte er den Vogel gleich am Anfang hingemalt oder hatte er ihn erst hineingemalt, als er dann fertig war? Ob der Hintergrundmaler ziemlich verzweifelt gewesen war? Nichts deutete darauf hin, und Bloch kam diese Auslegung auch sofort lächerlich vor. Überhaupt schien es ihm, als ob seine Beschäftigung mit dem Gemälde, als ob sein Hin-und-Hergehen, sein Herumsitzen, sein Hinausgehen, sein Hineingehen nichts weiter als Ausreden seien. Er stand auf: ›Keine Ablenkung!‹ sagte er sich vor. Wie um sich selber zu widerlegen, ging er hinaus, ging sofort über die Straße in einen Hausflur, stand, bis es zu regnen aufgehört hatte, dort neben leeren Milchflaschen herausfordernd herum, ohne daß jemand kam und ihn zur Rede stellte, ging in ein Café und saß dort eine Zeitlang, mit ausgestreckten Beinen, ohne daß jemand ihm den Gefallen tat, darüber zu stolpern und sich auf eine Schlägerei einzulassen.
Wenn er hinausschaute, sah er den Ausschnitt des Marktplatzes mit einem Schulbus; im Café sah er links und rechts Ausschnitte der Wände, mit einem ungeheizten Ofen, auf dem ein Blumenstrauß stand, mit einem Kleiderständer auf der anderen Seite, an dem ein Regenschirm hing. Er erblickte einen anderen Ausschnitt mit der Musicbox, durch die langsam ein Lichtpunkt wanderte, der dann bei der gewählten Nummer stehenblieb, daneben den Zigarettenautomaten, darauf wieder einen Blumenstrauß; dann wieder einen anderen Ausschnitt mit dem Wirt hinter der Theke, der für die Kellnerin, die danebenstand, eine Flasche öffnete, die die Kellnerin auf das Tablett stellte; und schließlich einen Ausschnitt von sich selber, wie er die Beine von sich gestreckt hatte, mit den nassen, schmutzigen Schuhkappen, dazu den riesigen Aschenbecher auf dem Tisch, daneben eine kleinere Blumenvase und das gefüllte Weinglas am Nebentisch, wo gerade niemand dabeisaß. Der Blickwinkel auf den Platz hinaus entsprach, wie er jetzt bemerkte, nachdem der Schulbus abgefahrenwar, fast genau dem Blickwinkel auf den Ansichtskarten: hier ein Ausschnitt der Pestsäule an dem Zierbrunnen; dort am Bildrand der Ausschnitt eines Fahrradständers.
Bloch war gereizt. Innerhalb der Ausschnitte sah er die Einzelheiten aufdringlich deutlich: als ob die Teile, die er sah, für das Ganze standen. Wieder kamen ihm die Einzelheiten wie Namensschilder vor. ›Leuchtschriften‹, dachte er. So sah er das Ohr der Kellnerin mit dem einen Ohrklips als ein Signal für die ganze Person; und eine Handtasche auf einem Nebentisch, die ein wenig aufgeklappt war, so daß er darin ein gepunktetes Kopftuch erkennen konnte, stand für die Frau, die dahinter eine Kaffeetasse hielt und mit der andern Hand, nur ab und zu bei einem Bild stockend, schnell eine Illustrierte durchblätterte. Ein Turm von ineinandergesteckten Eisbechern auf der Theke wirkte wie ein Vergleich für den Wirt, und die Wasserlache auf dem Fußboden unter dem Kleiderständer vertrat den Regenschirm darüber. Statt die Köpfe der Gäste zu sehen, sah Bloch die schmutzigen Stellen an der Wand in der Höhe der Köpfe. Er war so gereizt, daß er die schmutzige Schnur, an der jetzt die Kellnerin zog, um die Wandbeleuchtung auszuschalten – es war draußen wieder heller geworden –, ansah, als ob diese ganze Wandbeleuchtungeine Zumutung, eigens für ihn, sei. Auch tat ihm der Kopf weh, weil er in den Regen gekommen war.
Die aufdringlichen Einzelheiten schienen die Gestalten und die Umgebung, in die sie gehörten, zu beschmutzen und ganz zu entstellen. Man konnte sich wehren, indem man sie einzeln bezeichnete und diese Bezeichnungen als Schimpfwörter gegen die Gestalten selber verwendete. Den Wirt hinter der Theke konnte man einen Eisbecher nennen, und der Kellnerin konnte man sagen, daß sie ein Stich durchs Ohrläppchen sei. Ebenso hatte man Lust, zu der Frau mit der Illustrierten zu sagen: Du Handtasche! und zu dem Mann am Nebentisch, der endlich aus dem Hinterzimmer gekommen war und im Stehen, während er zahlte, den Wein austrank: Du Fleck auf der Hose! oder ihm, als er jetzt das Glas leer auf
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