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Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Titel: Die Angst des Tormanns beim Elfmeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Handke
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angekauft; außerdem fehlte der Umrechnungskurs.
    Als Bloch hereinkam, zählte der Beamte Münzen, wickelte sie in Rollen ein und spannte Gummiringe um die Rollen. Bloch legte den Geldschein auf die Barriere. Daneben stand eine Spieluhr; erst auf den zweiten Blick erkannte Bloch, daß es sich um eine Sparbüchse für einen wohltätigen Zweck handelte. Der Beamte schaute auf, zählte aber weiter. Bloch schob den Schein unaufgefordert unter die Glasscheibe durch auf die andere Seite. Der Beamte stapelte die Rollen in einer Reihe neben sich auf. Bloch bückte sich und blies den Geldschein auf den Tisch des Beamten, und der Beamte entfaltete den Schein, glättete ihn mit der Handkante und befühlte ihn mit den Fingerspitzen. Bloch sah, daß die Fingerspitzen ziemlich schwarz waren. Aus dem Hinterzimmer kam ein zweiter Beamter; um etwas bezeugen zu können, dachte Bloch. Er bat, die Wechselmünzen   – es war nicht einmal ein Schein darunter – in ein Papiersäckchen zu stecken, und schob die Münzen unter der Glasscheibe zurück. Der Beamte steckte die Münzen, nicht anders, als er früher die Rollen gestapelt hatte, in ein Papiersäckchen und schob das Säckchen wieder zu Bloch.Bloch stellte sich vor, wie man, wenn alle Leute verlangten, ihr Geld in Säckchen zu stecken, auf die Dauer die Sparkasse ruinieren könnte; ebenso könnte man es mit allen anderen Einkäufen machen: vielleicht würde der Verschleiß von Verpackungsmaterial nach und nach die Geschäfte zum Konkurs zwingen? Jedenfalls war es angenehm, sich das vorzustellen.
    In einem Papiergeschäft kaufte sich Bloch eine Wanderkarte von der Gegend; er ließ sie gut einwickeln, kaufte sich einen Bleistift dazu; ließ den Bleistift in ein Papiersäckchen stecken. Mit der Rolle in der Hand ging er weiter; er kam sich jetzt harmloser vor als früher mit leeren Händen.
    Er setzte sich, schon außerhalb des Ortes, wo er eine Übersicht über die Umgebung hatte, auf eine Bank und verglich mit dem Bleistift die Einzelheiten auf der Karte mit den Einzelheiten in der Landschaft vor ihm. Zeichenerklärung: diese Kreise bedeuteten einen Laubwald, diese Dreiecke einen Nadelwald, und wenn man von der Karte aufschaute, überraschte es einen, daß es zutraf. Dort drüben mußte das Gelände sumpfig sein; dort drüben mußte ein Bildstock sein; dort drüben mußte ein Bahnübergang sein. Wenn man diese Landstraße entlangging, mußte man hier über eine Brücke gehen, mußte dann auf einen Güterwegkommen, mußte dann eine starke Steigung hinaufgehen, wo schon oben jemand stehen konnte, mußte also von diesem Weg abbiegen und über dieses Feld laufen, mußte auf diesen Wald zulaufen, zum Glück ein Nadelwald, aber es konnten schon aus dem Wald heraus ein paar einem entgegenkommen, so daß man also einen Haken schlagen mußte und diesen Abhang hinunter auf dieses Gehöft zulief, mußte an diesem Schuppen vorbeilaufen, lief dann diesen Bach entlang, mußte an dieser Stelle hinüberspringen, weil hier ein Jeep auf einen zukommen konnte, rannte dann im Zickzack über die Ackerparzelle, schlüpfte durch diesen lebenden Zaun auf die Straße, wo gerade ein Lastwagen vorbeikam, den man anhielt, worauf man in Sicherheit war. Bloch stockte. »Wenn es sich um einen Mord handelt, macht man eben Gedankensprünge«, hatte er in einem Film jemanden sagen hören.
    Er war erleichtert, als er auf der Karte ein Viereck fand, das er in der Landschaft nicht wiederfand: das Haus, das dort stehen mußte, stand nicht da, und die Straße, die an dieser Stelle eine Kurve machte, verlief in Wirklichkeit geradeaus. Es kam Bloch vor, als ob ihm diese Nichtübereinstimmung behilflich sein könnte.
    Er beobachtete auf einem Feld einen Hund, derauf einen Mann zulief; dann bemerkte er, daß er nicht mehr den Hund beobachtete, sondern den Mann, der sich bewegte wie jemand, der einem andern in den Weg treten will. Jetzt sah er hinter dem Mann ein Kind stehen; und er bemerkte, daß er nicht den Mann und den Hund beobachtete, wie man es gewohnt gewesen wäre, sondern das Kind, das von weitem zu zappeln schien; aber dann merkte er, daß es das Geschrei des Kindes war, was ihm ein Gezappel vormachte. Inzwischen hatte der Mann den Hund schon am Halsband gepackt, und alle drei, Hund, Mann und Kind, waren in eine Richtung weitergegangen. ›Wem hat das gegolten?‹ dachte Bloch.
    Vor ihm auf der Erde ein anderes Bild: Ameisen, die sich einem Brotbrösel näherten. Er bemerkte, daß er wieder nicht die Ameisen

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