Die Angst des wei�en Mannes
politische Differenzierung, die immer wieder zu Konflikten führt.
AllenBedenken zum Trotz werde ich zu einer gerafften Chronik ausholen. Auf dieser kleinen Sunda-Insel kann man nämlich wie in einem Mikrokosmos ein abenteuerliches Kapitel der Menschheits geschichte untersuchen. Hier läßt sich auf engstem Raum ein gran dioses Projekt, die maßlose Hybris und, darauf folgend, der unver meidliche Niedergang einer europäischen Nation analysieren. An dieser Stelle vollzogen sich auf spektakuläre Weise in dem exakten Zeitraum eines halben Jahrtausends Auftakt und Erlöschen eines imperialen und romantischen Traums.
Man schrieb das Jahr 1512, als der portugiesische Navigator An tonio de Abreu seinen Fuß auf den Strand von Timor setzte und den ersten Kontakt aufnahm zu einer Urbevölkerung, die sich im Zu stand endloser Stammeskriege befand, als Kopfjäger berüchtigt war, mit den Schädeln ihrer erschlagenen Feinde ihre Hütten schmückte und sogar im Verdacht des Kannibalismus stand. Die portugiesische Expansion, die auf die grandiose Vision Heinrichs des Seefahrers zurückging, sollte in Timor ihre vorgeschobenste Position am Rande des Pazifischen Ozeans beziehen. Weite Kü stenstreifen Afrikas hatten die Lusitanier bereits unterworfen, als Vasco da Gama den Seeweg nach Indien entdeckte, während zum gleichen Zeitpunkt Christoph Kolumbus im Dienste der spani schen Krone noch in der Karibik und an der mittelamerikanischen Landenge nach dem sagenumwobenen Reich der Moguln, der Ma haradschas und den unermeßlichen Goldschätzen Cipangos suchte.
Der Gedanke an diese heroische Vergangenheit, die man dem kleinen Küstenvolk Iberiens gar nicht zugetraut hätte, mag wohl auch die heutige Regierung von Lissabon bewogen haben, durch die Entsendung von Gendarmen und Lehrern an dieser Stätte verlorener Größe noch einmal kurzfristig Flagge zu zeigen. Die portugiesischen Entdecker hatten es im sechzehnten Jahrhundert fertiggebracht, mit einem lächerlich kleinen Aufgebot von Menschen und Karavellen die faktische Oberhoheit über den ganzen Indischen Ozean an sich zu reißen. Der Herzog von Albuquerque, der seinen Gouverneurssitz im indischen Goa ausbaute, hielt die verhaßten arabischen Muselmanen in Schach, die kurz zuvor aus seinerHeimat am Tejo auf ihre maghrebinische Ausgangsbasis zurückgeworfen worden waren. Gewaltige portugiesische Festungen überragen heute noch den Hafen von Mombasa und die Straße von Hormuz am Ausgang des Persischen Golfs, die neuerdings im Zeichen der iranisch-arabischen Konfrontation wieder eminente strategische Bedeutung gewonnen hat.
Weit in den Rücken ihrer Gegner – bis auf die Insel Bahrain – hatten die Lusitanier ihre Bollwerke vorgeschoben, bemächtigten sich Ceylons und der Halbinsel von Malacca. Sie waren die ersten Europäer, die sich vom chinesischen Kaiser einen festen Anlege platz konzedieren ließen und den kleinen Fischerhafen Macao zur Drehscheibe ihres fernöstlichen Handelsmonopols ausbauten. Von Macao aus stellten sie regelmäßige Kontakte zum abgekapselten Inselreich Cipango her, das wir heute Japan nennen. Die Seefahrer und Freibeuter bahnten sich eine Route bis in die fernsten Ausläu fer von Insulinde.
In Ermangelung der ungeheuren Gold- und Silberschätze, die ihre spanischen Rivalen den Azteken und Inkas von Mexiko und Peru entrissen, verlegten sich die Portugiesen auf den Handel mit den vielfältigen, kostbaren Gewürzen Südostasiens. Diese warfen im damaligen Abendland immense Gewinne ab, wurden doch die schwerreichen Kaufleute von Amsterdam »Pfeffersäcke« genannt.
In der atlantischen Hemisphäre kam der portugiesische Navigator Pedro Cabral mit der Entdeckung und ersten Landnahme in Brasilien den spanischen Konkurrenten zuvor. Die Niederlassungen Portugals im Raum von Recife sollten gewaltige Konsequenzen nach sich ziehen. Denn während das Mutterland seine Bedeutung einbüßte und auf den Status eines Kleinstaates an der europäischen Peripherie schrumpfte, entfaltet sich in unseren Tagen das immense Territorium Brasiliens zur amerikanischen Großmacht, die dank ihres wirtschaftlichen, morgen wohl auch politischen Potentials das lusitanische Erbe an die Nachwelt weiterreicht. Brasilien hat die Vasallenrolle, die Washington den lateinischen Staaten Mittel- und Südamerikas im Sinne der Monroe-Doktrin so lange zugewiesen hatte, längst abgeschüttelt. Auf seltsameWeise wirkt hier der Schiedsspruch des Borgia-Papstes Alexander VI. nach, der um das Jahr 1500
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