Die Angst des wei�en Mannes
Nordost-Brasilien Fuß gefaßt – als historischer Aberwitz, als extravagantes Vorgeplänkel jener europäischen Selbstzerfleischung, an deren Ende die düstere Vor ahnung des »Untergangs des Abendlandes« steht. Die merkantile Hartnäckigkeit der Ostindischen Handelsgesellschaft, die 1799 der staatlichen Autorität der niederländischen Regierung unterstellt wurde, hat es dem Haus Oranien immerhin erlaubt, eine riesige ko loniale Domäne zwischen der Nordspitze Sumatras und der West hälfte Neuguineas extrem gewinnbringend auszubeuten, während Portugal, das sich in Asien lediglich in winzigen Dependancen be hauptete, sich bis 1974 ohne großen Profit an seine weitflächigen afrikanischen Besitzungen klammerte.
Das Beispiel dieser europäischen Kleinstaaten, in deren Unterbewußtsein die Erinnerung imperialen Prestiges nicht erloschen ist, illustriert die profunden psychologischen Vorbehalte, die sich derheute angestrebten Einigung des Kontinents entgegenstemmen. Nicht nur Holland und Portugal hatten sich vorübergehend als Großmächte gebärdet. Neben Briten, Spaniern, Franzosen und Deutschen, die unter Berufung auf die zivilisatorische Mission der Europäer die »Bürde des weißen Mannes« schulterten und dem Rausch schrankenloser Dominanz erlagen, könnten ja auch die Polen darauf pochen, daß sie auf dem Höhepunkt ihrer Geschichte Moskau besetzt und einen Pseudo-Zaren von Krakaus Gnaden im Kreml installierten. Vor den schwedischen Heeren Gustav Adolfs und mehr noch Karls XII. zitterten die Fürstenhäuser des Kontinents. Sogar das Großherzogtum Litauen erstreckte sich zeitweise vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer.
Die Dogen-Republik Venedig konnte sich bis zur Entdeckung Amerikas als unentbehrliche See- und Handelsmacht des Mittel meers aufführen, und die gefürchteten Kriegshaufen der Schweizer Reisläufer entschieden auf den Schlachtfeldern Norditaliens, Bur gunds und Lothringens über den Bestand der rivalisierenden Dy nastien des Abendlandes. In der Nachfolge Kaiser Karls V., »über dessen Reich die Sonne nie unterging«, verstieg sich das Haus Habsburg zu der Devise A. E. I. O. U.: »Austriae est imperare orbi universo« (es ist Österreich bestimmt, die Welt zu beherrschen) – oder auch: »Alles Erdreich ist Österreich untertan«.
Wer heute an den zähflüssigen Querelen der Eurokraten von Brüssel, am frustrierenden Hindernislauf der kontinentalen Eini gung, an der von Washington geschürten Divergenz zwischen »Old and New Europe« verzweifelt, sollte neben den pompösen Schrif ten des Barden Camões auch die exaltierten patriotischen Aufrufe, die nationalistischen Haßpredigten des neunzehnten und zwanzigs ten Jahrhunderts zur Hand nehmen, die die machtpolitische Ab dankung des Okzidents begleiteten.
»TristesTropiques«
Atauro, im März 2008
An Bord der Fähre »Nakroma« versuche ich vergeblich, mich in die kühne Laune der lusitanischen Weltentdecker zu versetzen. Wir unternehmen ja nur einen kurzen, risikolosen Ausflug, und die »Nakroma« ist ein modernes, komfortables Schiff. Unser Ziel ist das Eiland Atauro, das Ost-Timor in dreißig Kilometern Distanz nördlich vorgelagert ist. Die Überfahrt dauert knapp zweieinhalb Stunden. Wir gleiten über die spiegelglatte, tiefblaue Wasserfläche der Wetar Strait. Nur ein Rudel Delphine bietet Abwechslung. Wichtiger als die wöchentliche Verbindung Dilis mit Atauro ist der regelmäßige Pendelverkehr der Fähre mit der Exklave Oecussi, die sich in der Westhälfte Timors befindet und ringsum von indonesi schem Staatsgebiet umschlossen ist.
Der Landzugang ist durch miserable Straßen und Zollschikanen erschwert. Diese widersinnige Grenzziehung geht auf einen Ver trag aus dem Jahr 1859 zurück, der dem grotesken Territorialstreit zwischen Lissabon und Den Haag ein Ende setzte. Auf die Beibe haltung der winzigen Außenposition Oecussi hatte Portugal beson deren Wert gelegt, weil dort die Dominikaner ihre erste Nieder lassung ausgebaut hatten.
Der Name »Nakroma« bedeutet soviel wie Morgendämmerung oder Aufklärung, wird mir erklärt. Es handelt sich um ein Geschenk der Bundesrepublik. Der Schiffsbau fand in Indonesien unter strik ter Überwachung der GTZ statt, die auch weiterhin dieses nütz liche Projekt betreut. Der Steuermann und die Besatzung sind aus schließlich Malaien aus Java, die sich von alters her auf Navigation und auch auf Piraterie verstehen, während die überwiegend mela nesischen Timoresen für das offene Meer nicht
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