Die Angst des wei�en Mannes
Plötzlich fühle ich mich in eine längst ver flossene Kolonialepoche zurückversetzt, die ich – man mag sich da rüber empören – in überwiegend positiver Erinnerung behalten habe. »When the going was good«, zitiere ich den reaktionären bri tischen Schriftsteller Evelyn Waugh und verspüre einen Hauch von Nostalgie.
Der Eingang des »Timor« wird von schwarz uniformierten Bewaffneten kontrolliert, kräftige Gestalten mediterranen Typs, die Helm und kugelsichere Weste tragen. An den australischen Ordnungshütern gemessen, wirken sie wie Krieger eines anderen Zeit alters.Das alte Lusitanien hat ein paar hundert Angehörige der »Guarda Nacional Republicana« in seine ehemalige Besitzung am Ende der Welt entsandt, nicht um sinnlose postkoloniale Ansprüche anzumelden, sondern in der Hoffnung, durch bescheidene militärische Präsenz zumindest eine Spur des eigenen Kulturerbes zu retten.
Mir imponieren diese resolut auftretenden Schutzengel, die – an ders als die Mehrzahl ihrer eher schmächtig gewachsenen Lands leute – über die Muskulatur von Bodybuildern verfügen. Es heißt, daß sie psychologisch sehr viel besser mit den aufsässigen Timo resen zurechtkommen als die Australier, die zwar vorzüglich nach britischem Vorbild gedrillt, aber oft durch die amerikanischen Me thoden der Terrorbekämpfung negativ beeinflußt sind. Während die »Aussies« gegen Randalierer und Plünderer sehr schnell zum Schießeisen greifen, gehen die Portugiesen mit Schlagstöcken vor und erzielen weit bessere Pazifizierungsresultate.
Neben der Elitetruppe der »Guarda Nacional« sind vierhundert portugiesische Sprachlehrer in Dili angekommen. Sie haben sich über die östliche Inselhälfte verstreut, um die Sprache des Dichters Camões, die nur noch von zehn Prozent der Bevölkerung benutzt wird, vor der endgültigen Verdrängung durch das Englische, bes ser gesagt durch das Amerikanische, zu retten. Sie werden dabei von einer aktiven Embajada unterstützt, der sich auch die brasilianische Botschaft von Dili brüderlich zugesellt. Ob die Lusitanier beim lin guistischen Überlebenskampf erfolgreicher sein werden als ihre spanischen oder französischen Leidensgenossen auf den Philip pinen oder in Indochina, deren kultureller Einfluß durch das er drückende Übergewicht des »American way of life« verdrängt wurde, bleibt dahingestellt. Den Portugiesen kommt zugute, daß ihr Landsmann Manuel Barroso als Vorsitzender der Europäischen Kommission seinen Einfluß in Brüssel zu ihren Gunsten geltend machen kann.
Die obere Etage des zweistöckigen Hotels wird durch timoresische Pistoleros in Zivil und einheimische Polizisten wie ein Banktresor geschützt. In unmittelbarer Nachbarschaft meines Zimmers hatsich der Interims-Staatschef Fernando de Araujo einquartiert, nachdem vor einem knappen Monat Präsident José Ramos-Horta von mehreren Kugeln in den Brustkorb getroffen worden war. Das Hotel Timor mit seinen portugiesischen Bewachern gilt wohl als sicherstes Refugium für die um ihr Leben besorgten Repräsentanten des Staates.
Holland als Großmacht
Während ich mir eine Siesta gönne, die durch den Anflug aus Neu seeland, die kurzen Zwischenstationen in Melbourne und Darwin sowie den krassen Klimawechsel angebracht erscheint, stelle ich mir die Frage, ob man ein deutsches Leserpublikum für das Schick sal dieser fernen exotischen Inselhälfte interessieren kann. Zufällig war ich vor meinem Aufbruch aus Europa auf eine Notiz des Kol legen Rudolph Chimelli gestoßen, der mir stets als vorzüglicher Kenner der konfusen Machtverhältnisse der Islamischen Republik Iran aufgefallen war. Über die Misere des heutigen Journalismus befragt, hatte Chimelli geantwortet: »Die ausführliche Berichter stattung komplizierter Sachverhalte ist dem Nachrichtenkonsu menten meist nicht zuzumuten.«
Den Querkopf Noam Chomsky, der sich (als Sprachforscher) mit Ost-Timor schon lange auseinandergesetzt hatte, bevor es zum Thema internationaler Politik wurde, fragte einst eines der großen US-Fernsehnetze, ob er in einer Minute erklären könne, worin das Problem bestehe. »Nein, das kann ich nicht«, sagte Chomsky, und der Beitrag kam nicht zustande. Der amerikanische Linguist hätte binnen sechzig Sekunden nicht einmal die sechzehn stark un terschiedlichen Dialekte aufzählen können, die auf Timor-Leste gesprochen werden, ganz zu schweigen von der Spaltung der Insel hälfte in einen westlichen und einen östlichen Teil, eine ethnisch
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