Die Angst des wei�en Mannes
die Neuentdeckungen auf dem gesamten Erdball zu einer Hälfte den Spaniern, zur anderen den Portugiesen zugesprochen hatte.
Die Grausamkeit und die Habgier, mit denen die Besitzergrei fung der iberischen Conquistadoren und auch ihre christliche Mis sionierung einhergingen, soll nicht beschönigt werden. Die späte ren, überwiegend angelsächsischen Eroberer – denken wir nur an die Ausrottung der Indianer Nordamerikas – standen dem Wüten eines Cortés, der Herrschsucht eines Albuquerque, der Goldgier eines Pizarro übrigens in keiner Weise nach.
Um mich in die begeisterte Aufbruchstimmung von damals zu versetzen, um das Bewußtsein eines zivilisatorischen, ja göttlichen Auftrages zur Unterwerfung und Bekehrung der Heiden nachzu empfinden, hatte ich noch vor der Abreise aus Europa das umfang reiche Epos des größten portugiesischen Dichters Luís de Camões zur Hand genommen. Eine leichte Lektüre ist das nicht. Aus dem Balladenband »Os Lusiados« spricht ein ganz anderer Zeitgeist. Dabei muß man wissen, daß dieser abenteuernde Poet – nachdem er im Kampf gegen die Marokkaner ein Auge verloren hatte – sech zehn Jahre zur See gefahren war auf den Spuren des portugiesischen Nationalhelden Vasco da Gama, den er verherrlichte.
Camões kannte den Indischen Ozean vom Bab-el-Mandeb bis zu den Molukken. Die Lusiaden, so heißt es, hat er an der chinesischen Küste von Macao niedergeschrieben und sich dafür in eine abgele gene Grotte wie in eine Einsiedelei zurückgezogen. Camões fand seine Inspiration nicht nur in der christlich-biblischen Überliefe rung, sondern mehr noch bei den griechisch-lateinischen Autoren des heidnischen Altertums. Er huldigte bereits dem Geist der Re naissance, wenn er sich ganz unverblümt bemühte, die Odyssee des Homer, mehr noch die Aeneis des römischen Dichters Vergil auf die eigene Epoche zu übertragen.
Seine Verse mögen für den heutigen Geschmack unerträglich pathetisch klingen, wenn er im »Canto Primeiro« mit folgenden Zeilen anhebt:
»Diekriegerischen kühnen Heldenscharen Vom Westrand Lusitaniens ausgesandt, Die auf den Meeren – nie zuvor befahren – Sogar passierten Taprobanas [Ceylons] Strand, Die mehr erprobt in Kriegen und Gefahren, Als man der Menschen Kraft hat zuerkannt, Und unter fernem Volk errichtet haben Ein neues Reich, dem so viel Glanz sie gaben.« (In der Übersetzung von Hans Joachim Schaeffer)
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Der französische Aufklärer Voltaire hat sich über diesen »poète aventurier« mokiert, der die Götter des Olymp oder die lästerliche Venus in einem Atemzug mit der jungfräulichen Gottesmutter Maria erwähnte. Der deutsche Übersetzer Friedrich Schlegel hin gegen sah in den Lusiaden einen Ansporn für die Aufbruchstim mung, die die deutsche Nation zu Beginn des neunzehnten Jahr hunderts ergriff, ein aufrüttelndes Vorbild der von ihm ersehnten Erweckung Germaniens. Alexander von Humboldt wiederum fand für den schreibenden Navigator Camões den Ausdruck »See maler«.
Die Insel Timor wird im »Canto decimo« kurz erwähnt: »Auch Timor dort, wo man das Holz gewinnt des Sandelbaums, das duf tend heilsam wirkt. Das weite Sunda schau! …« Kurz nach der Lan dung Antonio de Abreus auf der Insel Timor vollbrachte sein Lands mann Fernão de Magalhães, der unter dem Namen Ferdinand de Magellan in die Dienste der zahlungskräftigeren spanischen Mo narchie getreten war, die erste Weltumseglung.
Mein Vater hatte mich schon im Knabenalter ermutigt, ja an gehalten, die Biographien der kühnsten Entdecker zu lesen, von Cortés, der Mexiko unterwarf, bis Stanley, der das finstere Herz Afrikas, das Kongobecken, unter unvorstellbaren Strapazen durchquerte. Zu der Lektüre gehörte auch Sven Hedin, der sich in die Ta-klamakan-Wüste Zentralasiens wagte. Am stärksten beeindruckte michMagellan, der durch die Entdeckung der nach ihm benannten schmalen Meerenge an der äußersten Südspitze der Neuen Welt den Zugang zum Pazifik öffnete. Er hat den endgültigen Beweis erbracht, daß die Erde eine Kugel ist.
Die ersten Portugiesen verhandelten auf Timor mit sogenannten »Königen«, denen sie Gewürze und Sandelholz abkauften, ohne je mals die Küstenebene zu verlassen. Es waren primitive Stammes häuptlinge, deren Gefolgschaft sich in sinnlosen Fehden erschöpfte. Ein halbes Jahrhundert nach der ersten Erkundung durch Antonio de Abreu drang die lusitanische Präsenz ins Innere von Timor vor. Die Mönche des heiligen Dominikus gründeten ihre Missionen und
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