Die Angst des wei�en Mannes
bemühten sich, die melanesischen Heiden zum Glauben der rö mischen Kirche zu bekehren. Sie hatten gute Gründe dafür. Die Oberhoheit der Lusitanier über Ceylon, Malacca und den Moluk ken- Archipel wurde nämlich ganz unerwartet durch die Ankunft anderer Europäer erschüttert und in Frage gestellt.
Holländische Handelsschiffe der »Oostindische Compagnie« tauchten mit überlegener Schiffsartillerie am Horizont auf. Kaum hatten die Niederländer die spanische Unterjochung durch den Herzog von Alba in ihrer Heimat abgeschüttelt, holten ihre Kauf leute und Seefahrer zu einer kolonialen und merkantilen Expansion sondergleichen aus, die man von diesen »Krämern« gar nicht er wartet hatte. Binnen eines Jahrhunderts gelang es dem Volk der »Geusen« – Bettler, wie die Kastilianer sie verächtlich nannten –, die Portugiesen auf ein paar Außenposten abzudrängen, darunter die östliche Sunda-Insel Timor, auf der die ersten holländischen Kaufleute schon im Jahr des Herrn 1568 an Land gingen. Es gehört zu den absurdesten Kapiteln der europäischen Kolonialgeschichte, daß Portugiesen und Niederländer sich dreihundert Jahre lang um den Besitz von ein paar entlegenen und – an Java oder Ceylon ge messen – dürftigen Eilanden bekriegen sollten.
Luís de Camões hatte zusätzlichen Grund, das Vordringen dieser Usurpatoren des Hauses Oranien zu verfluchen. Holland – damals noch nominell Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation – hatte dem Katholizismus der Spanier radikal den Rückengekehrt. Der protestantische Calvinismus – in den Augen der Portugiesen die schlimmste Form der Ketzerei – wurde offizielle Staatsreligion dieses jungen Staatsgebildes.
Wie »global« schon vor einem halben Jahrtausend die konfessio nellen Gegensätze ausgetragen wurden und aufeinanderprallten, entnehmen wir einer Strophe des Siebten Gesangs der Lusiaden. Da heißt es:
»Ihr seht der Deutschen hochmütige Herde , Die sich auf weitflächigem Feld ernährt , Den neuen Hirten wählt der neuen Lehr e
[gemeint sind Calvin und Luther]
Und gegen Petri Erben aufbegehrt . Ihr seht beladen sie mit Kriegsbeschwerden , Da sie der blinde Wahn noch nicht belehrt , Nicht um den stolzen Türken zu verjagen , Nein, um das hohe Joch [des Papstes] nicht mehr zu tragen. «
Der greise Camões, der von einer kümmerlichen Rente seines Kö nigs ein trauriges Dasein fristete, wurde noch verzweifelter Zeuge des Niedergangs seines Vaterlandes. Es klingt seltsam modern, wenn er am Ende die Habgier und Verderbtheit seiner Landsleute, die der Sucht nach Ruhm und Reichtum erlegen waren, für das Scheitern des portugiesischen Imperiums verantwortlich macht. Er schließt sich damit der Verdammung der »avaritia« an, der wüten den Kritik an der Habsucht, an der zunehmenden gesellschaftli chen Ausrichtung auf Profit und Geldwirtschaft, die seiner christ lichen Grundhaltung zutiefst widersprach und von zahlreichen Moralisten und Literaten seiner Epoche geteilt wurde. Schon da mals gab es ideologische Gegner eines weltumspannenden Glücks rittertums, das uns seltsam vertraut vorkommt. Die Tragödie des Dichters Camões gipfelte in der Annexion Portugals durch den spanischen König Philipp II., die im Jahr 1580, im Jahr seines Todes, stattfand und fast ein Jahrhundert andauern sollte.
Ich will die Analogien nicht exzessiv bemühen, aber an dieser Stellesollte einer der bedeutendsten Exegeten des Camões-Werks, der Deutsche Rafael Arnold, zu Wort kommen:
»Inzwischen sind die Entdeckungen in andere Richtungen ge lenkt. Aus dem geographischen Raum in den Weltenraum oder in den Mikrokosmos atomarer Kleinstteile. Daneben entdecken wir heute – den Blick auf den Bildschirm geheftet – am Computer ungeahnte virtuelle Welten. Der Wortschatz der Entdeckungen verdankt dabei bis heute der nautischen Fachsprache sehr viel. Astronauten bereisen ganz selbstverständlich in Raumschiffen das Weltall. ›Explorer‹ helfen bei der Orientierung im elektronischen Informationsspeicher, und unterstützt von einem ›Navigator‹ er kunden wir die ›novos mundos‹ virtueller Wirklichkeit, wenn wir durchs Internet surfen. ›Navegar na internet‹ nennen das die Por tugiesen, von denen Camões einst stolz sagen konnte: ›Der Welt werden sie neue Welten bringen.‹ (II, 45)«
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Im Rückblick erscheint der endlos schwelende Konflikt zwischen Portugiesen und Holländern – letztere hatten vorübergehend, aber ohne bleibenden Erfolg auch in
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