Die Angst des wei�en Mannes
taugen. Man fragt sich, wie die Vorfahren dieser Rasse ihr Siedlungsgebiet bis zu den Fidschi-Inseln und Neukaledonien ausweiten konnten.
Die Wetar Strait liegt harmlos und träge unter der brütenden Mittagssonne. Diese nördlichen Gewässer Timors, die aufgrund ihrersteil abfallenden, ungewöhnlichen Tiefe strategische Bedeutung für die diskrete Passage von Atom-U-Booten der US Navy aus dem Pazifik in den Indischen Ozean besitzen sollen, werden von den Einheimischen das »weibliche Meer« genannt, während die rauhen Fluten der Timor-See, die im Süden mit schäumender Brandung gegen die Ufer schlagen, als »männliches Meer« gelten. Über die emanzipatorische Frage, ob diese auf den Ozean übertragene Unterscheidung zwischen maskulinem Ungestüm und femininer Sanftmut heutzutage noch Sinn macht, haben sich die Timoresen gewiß keine Gedanken gemacht.
Die hochfliegenden Erwartungen, mit denen die iberischen Ka ravellen einst auf die geheimnisvollen Gestade Insulindes zusegel ten, dürften auf Atauro bitter enttäuscht worden sein. Schon ab 1520 wurde das Eiland als eine Art »Teufelsinsel« für die Verban nung von Sträflingen genutzt. Die Indonesier, die mehrere Jahr hunderte später Ost-Timor okkupierten, haben es den Portugiesen gleichgetan. An der Anlegestelle der Fähre tummelt sich ein recht kümmerlicher Haufen von Passagieren und Trödlern.
In einem bequemen Toyota fahren wir durch dichtes Gestrüpp. 8000 Einwohner sind auf unansehnliche Dörfer im Busch verteilt. Der Buchtitel »Tristes Tropiques« hätte für diesen exotischen Landstrich erfunden werden können. Bemerkenswert ist hier allen falls, daß eine größere Anzahl der Einheimischen im Gegensatz zur Hauptinsel Timor, die fast ausschließlich katholisch ist, zum calvi nistischen Christentum bekehrt wurde, was wohl nicht zur Erhei terung der Gemüter beitrug. Heidnische Bräuche sind weiterhin verbreitet.
Unsere enttäuschende Rundfahrt endet mit einem Imbiß in der »Eco Lodge« am Strand von Vila. Das Wort »Eco« steht auch hier für Ökologie und soll den seltenen Touristen und Sonderlingen, die sich hierher verirren, Naturnähe und Ursprünglichkeit vortäuschen. Die einzigen Ausländer, die gemeinsam mit uns in Atauro an Land gingen, hagere, verhärmt wirkende Australierinnen, werden in einer erbärmlichen Pfahlhütte untergebracht und sind auf eine einzige gemeinsame Duschanlage sowie einen stinkenden Abtritt angewiesen.Mühsam ziehen zwei grauhaarige, mißmutige Frauen ihre Koffer durch den Sand, und keiner der träge kauernden Hotelbediensteten käme auf den Gedanken, diesen »Alternativtouristen« behilflich zu sein.
Die »Ökologie-Lodge« ist ein unappetitlicher Platz. Die geröste ten Fische, die uns auf schmuddeligen Tellern serviert werden, star ren vor Gräten. Der Geruch des Essens hat drei Hunde angezogen. Beim Anblick der ausgemergelten, räudigen Tiere vergeht einem der letzte Appetit. Offenbar hatte meine Frau Eva, die mich auf dieser Reise begleiten wollte und wegen Erkrankung auf die Expedition nach Timor verzichten mußte, doch nicht so unrecht gehabt, als sie sich vorsorglich gegen Tollwut impfen ließ. Vier schwarze Ziegen haben sich uns zugesellt, die die üppige tropische Vegetation ver schmähen, um in einem ekelhaften Abfallhaufen zu wühlen.
Eine bescheidene historische Bedeutung hat Atauro im August 1975 gewonnen, als die Nelkenrevolution der portugiesischen Militärs vom Vorjahr auch in Ost-Timor radikalen politischen Wandel und kolonialen Verzicht erzwang. Der letzte lusitanische Gouverneur flüchtete aus Dili, wo die ersten Gefechte der Unab hängigkeit aufflackerten, mit seinem Gefolge auf diese ehemalige Sträflingsinsel und schiffte sich wenig später auf der Korvette »Alfonso Cerqueira« in Richtung Heimat ein. Es war der unrühm liche Abschluß einer glorreichen Historie.
Auf der Rückfahrt verschwimmt die platte, die weibliche See in einem grauen Trauerflor. Das Trümmerfeld der Hauptstadt taucht als düsterer Schatten auf, aus dem das knallrote Ziegeldach des Au ßenministeriums wie ein Fanal herausleuchtet. Die Ausgangssperre wurde vor ein paar Tagen um zwei Stunden verkürzt. Im Hotel Timor haben sich die überwiegend portugiesischen Gäste in mun ter plaudernden Gruppen zusammengetan. Es wird australischer Rotwein und Vinho Verde getrunken. Wären nicht die freundli chen, dunkelhäutigen Bediensteten, man könnte sich am Tejo wäh nen.
Plötzlich verstummt das Stimmengewirr. Ein gewichtiger
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