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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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beschränken sich zwar auf ein bescheidenes Kräfteaufgebot, aber die Flottenübungen, die imGelben Meer und im Vorfeld der Halbinsel Shandong stattfanden, wurden als diskrete Warnung an die übermächtige US Navy im Westpazifik gedeutet. Die kombinierten Kriegsspiele im Umkreis der süd-sibirischen Stadt Tscheljabinsk dagegen sollten wohl ein Zeichen setzen für den gemeinsamen Willen, einer Ausweitung des islamistischen Radikalismus im südlichen Glacis der ehemaligen Sowjetunion einen Riegel vorzuschieben. Es ist vieles in Bewegung geraten in diesen furchterregenden Weiten, die ich vor fünfzehn Jahren – von allen Seiten kritisiert – als »Schlachtfeld der Zukunft« beschrieben habe.
Ein Mullah aus Kundus
    Die Rückbesinnung auf die reine Lehre des Propheten ist bei den Nomaden Westkasachstans noch nicht weit gediehen. Im Zeichen diverser Sufi-Gemeinden und religiöser Brüderschaften überlagern hier die schamanistischen Überlieferungen die koranische Offen barung. Immer wieder macht mich mein kasachischer Fahrer auf die kunstvoll in weißem Muschelkalk gemeißelten Gräber von angesehenen Hordenführern und mehr noch auf die Mausoleen angeblicher Mystiker aufmerksam, die den Zauberkräften von Me dizinmännern wohl näherstanden als der strikten Observanz der koranischen Vorschriften. Viele von ihnen hatten – vom Volk hoch verehrt – als Einsiedler in ausgeschachteten Höhlen die göttliche Inspiration gesucht. Die Portale sind oft durch ganz und gar unis lamische Darstellungen von Totemtieren geschmückt.
    Ich bin überrascht von den vielen Dromedaren, die den dorni gen Wildwuchs wiederkäuen. Diese dunkelbraunen, einhöckrigen »Wüstenschiffe« unterscheiden sich deutlich von den zweihöckri gen Kamelen, wie man sie bereits in Persien antrifft. Die Umrisse der Tiere flimmern in der sengenden Mittagsglut und verharren reglos wie ein unheilverkündendes Omen.
    EindrucksvolleMonumente sind in dieser Gegend nicht anzu treffen. Ist es eine Folge der unerträglichen Mittagshitze? Jedenfalls erscheinen die spärlichen Ortschaften, die sich an die Steilküste klammern, fast unbewohnt. Längs der Straße, die nach Norden in Richtung Fort Schewtschenko führt, sind typisch russische Holz häuser übriggeblieben und auch eine morsche orthodoxe Kirche. Ein paar Gedenktafeln erinnern an irgendwelche lokalen Wider standskämpfer. Dem Datum ihres Todes entnehme ich, daß es sich meist um Opfer der großen stalinistischen Säuberungswellen der dreißiger Jahre handelte.
    Die Einwirkung von Sturm und Hitze hat in dieser nachgiebigen Landschaft aus Kalkfels und Sand bizarre Reliefformen entstehen lassen. Selbst von der ehemaligen zaristischen Festung, die ur sprünglich zu Ehren Peters des Großen Petropawlowsk hieß, spä ter dann zum Ruhm des ukrainischen Nationalhelden und Dichters in Schewtschenko umbenannt wurde, sind nur ein paar Ziegel üb riggeblieben. Der verwahrloste orthodoxe Friedhof nebenan stei gert noch den desolaten Eindruck von Verlassenheit und Verzicht.
    Unvermutet stoßen wir auf die Blechkuppel einer halbwegs an sehnlichen Moschee. Ein bärtiger Mullah – in weißen Turban und weißen Kaftan gekleidet – verharrt am schmiedeeisernen Portal. Er beobachtet uns mißtrauisch, wie mir scheint. Ich begrüße ihn trotz dem mit »as salam aleikum«, obwohl eine solche Formel nur mus limischen Gläubigen vorbehalten sein sollte. Sehr bald stelle ich fest, daß er über keine nennenswerten arabischen Sprachkenntnisse verfügt. Der Imam bestätigt mir immerhin, daß seine Gemeinde dem hanefitischen Ritus anhängt.
    Als ich ihn frage, ob er der geistlichen Bruderschaft, der »Tarika« des Scheikh Naqschband aus Bukhara, nahestehe, die im nahen Da gestan stark vertreten ist, schüttelt er ärgerlich den Kopf. Ich will den spärlichen Kontakt bereits abbrechen, da erfahre ich von ihm, wo er seine geistliche Ausbildung erhalten hat, in welcher Madrassa er die Suren des Koran auswendig gelernt hat. Er sei in Afghanistan, in der Stadt Kundus, als Talib zum rechten Glauben erzogen worden.
    Ich sage dem Mullah nicht, daß Kundus sich im Zentrum jener Schutzzonebefindet, die theoretisch dem deutschen ISAF-Kontingent zugeordnet ist, zumal sich dort die blutigen Zusammenstöße mit den Taleban häufen. Aber ich versuche dem frommen Mann zu erklären, daß ich mit einem berühmten Sohn der Stadt Kundus, dem Mudjahidin-Kommandanten Gulbuddin Hekmatyar, engen Kontakt gepflegt hatte, daß ich mit seinen Gotteskriegern der

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