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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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derer prominenter Stelle neu aufgestellt als Relikt einer Ideologie, die längst verblaßt ist.
    *
    Wir waren zu nächtlicher Stunde, von Aktu kommend, in der früheren kasachischen Hauptstadt Almaty gelandet. Die zwei Stunden Schlaf, die uns vergönnt waren, verbrachten wir nicht im pompö sen»Rahat Palace«, sondern in einer bescheidenen Unterkunft. Dann rollten wir total übermüdet in Richtung Bischkek, dessen kommunistischer Name Frunse seinerzeit auch der höchsten sowjetischen Militärakademie verliehen wurde. Wir hatten uns solche Eile auferlegt, weil wir rechtzeitig zum muslimischen Freitagsgebet eintreffen wollten. Die verrottete, schäbige Holzmoschee, die ich bei meinem ersten Aufenthalt im Sommer 1980 aufgesucht hatte, war seit der Unabhängigkeit durch einen stattlichen Kuppelbau ersetzt worden.
    Nach der Niederwerfung des islamischen Widerstandes durch Frunse hatten die Sowjetbehörden angeordnet, daß die kirgisischen Frauen ihre bisherige Vermummung, die angeblich der religiösen Vorschrift entspricht, ablegen, auf einen Haufen werfen und öf fentlich verbrennen mußten. Die »Parandscha«, die hier getragen wurde, ähnelt der Totalvermummung der »Burka«, wie sie in Af ghanistan heute noch weitgehend üblich ist.
    Heute tauchen bereits diverse Varianten des »Hijab« auf, und so waren wir neugierig, ob wohl auch bei den männlichen Gläubigen eine Rückbesinnung auf die Lehre des Propheten stattfände. Zwar war die freie Religionsausübung seit dem Sturz der kommunisti schen Herrschaft wieder offiziell genehmigt, aber die vom Staat er nannten Muftis und Imame waren strengstens angehalten, sich in ihrer Freitagspredigt, der »Khutba«, jeder politischen Stellung nahme zu enthalten. Von einem Aufruf zum »Jihad« konnte über haupt nicht die Rede sein.
    Um so überraschter waren wir, als die neue, geräumige »Jami’«, die Freitagsmoschee, von Gläubigen überfüllt war, ja daß sich die Beter auf dem weiten Vorplatz drängten und in Richtung Mekka verneigten. Es handelte sich nicht wie zu Sowjetzeiten um ein paar ältliche Dickschädel, die dem Koran die Treue hielten, sondern die kompakte Menge setzte sich fast ausschließlich aus jungen, dynami schen Männern zusammen, die sich, um nicht als militante Islami sten identifiziert zu werden, den Bart abrasiert hatten.
    Bischkek bleibt mir als die reizvollste Siedlung Sowjetisch-Zentralasiens in Erinnerung. Im Sommer verschwinden die breiten Alleenim Grün der Bäume und Parks. In der Zwischenzeit ist das Intourist-Hotel Alatau, wo ich einst logiert hatte, durch ein erstklassiges Hyatt ersetzt worden, von dessen luxuriöser Lounge aus der Blick über die schneebedeckten Zackenkronen der nahen Gebirge schweift.
    Eine grundlegende Veränderung fällt mir auf. Vor dreißig Jahren unterlag meine Bewegungsfreiheit in Kirgistan strikten Einschrän kungen. Selbst der »warme See« Issyk-Kul war aus dem Touristen programm gestrichen. Seinerzeit vermutete ich, daß dort Nuklear-Raketen gegen China eingebunkert würden. Später erfuhr ich, daß sich das abgrundtiefe Wasser des Issyk-Kul zur Erprobung von neuen Seeminen und Torpedos eignen sollte.
    Seinerzeit mußte ich mich noch glücklich schätzen, daß mir ein begrenzter Ausflug über Land in Richtung Osten erlaubt wurde. Exakt ausgerichtete Straßendörfer säumten die Strecke bis zu den Ruinen von Burana. In den Kolchos-Siedlungen entdeckte ich statt Moscheen nur die »Kulturhäuser« des Sowjetsystems, aber auf den Friedhöfen waren die Grabsteine fast immer mit einem Halbmond aus Blech verziert. Maurer waren mit dem Bau stattlicher neuer Kuppelgräber – den Marabus in Nordafrika zum Verwechseln ähn lich – beschäftigt.
    Der Turm von Burana, ein früheres Minarett mit Backstein-Or namentik, bildete den geographischen Mittelpunkt einer fruchtba ren Ebene. Gigantische Erntemaschinen waren dort im Einsatz. Während der einbrechenden Dämmerung tasteten sie die Felder mit Scheinwerfern ab. Die türkische Dynastie der Qarakhaniden hatte rund um Burana im elften Jahrhundert den Schwerpunkt ih rer Herrschaft errichtet. Dann war Dschingis Khan gekommen – »er hatte über seine Feinde nur gelacht …«, wie es im Schlager heißt – und hatte die islamische Kultur dem Erdboden gleichge macht.
    Ein paar alte Mauern, Trümmerhügel und die Kuppeln von Mausoleen waren rund um das Minarett übriggeblieben. Die roten Transparente der Staatsgüter und Kollektiv-Farmen protzten mit Optimismus und offizieller

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