Die Angst des wei�en Mannes
»Hezb-e-Islami« während des Feldzuges gegen die Sowjetunion mich auf den »Pfaden Allahs« und des Heiligen Krieges durch die Felsschluchten von Tora Bora gequält hatte.
Inzwischen hat Hekmatyar, der seinerzeit den zuständigen deut schen Diensten und Stiftungen wohlbekannt war, nach Vertreibung der gottlosen Sowjets, der »Schurawi«, seine Waffen gegen den anderen »Feind Gottes«, den amerikanischen Imperialismus, ge richtet. In der Mondlandschaft von Kunar und Nuristan führt er – unabhängig von den Taleban des Mullah Omar – einen überaus wirksamen Abwehrkampf gegen die neuen ungläubigen Invasoren aus dem Westen.
Die Tatsache, daß ich Hekmatyar persönlich kenne, verwandelt den Turbanträger in einen freundlichen Gastgeber. Er läßt uns Tee servieren und lädt uns in sein bescheidenes Haus ein. Große Er kenntnisse habe ich an diesem Nachmittag nicht gewonnen, aber eine Aussage des frommen Mannes hat sich mir eingeprägt, als ich ihn frage, mit welcher politischen Richtung oder Partei Kasach stans er sich verbunden fühle, ob er der inzwischen verbotenen Shel toqsan-Bewegung nachtrauere oder sich der islamistischen Alash-Gruppe angeschlossen habe. Die barsche Antwort, die ich erhalte, ist mir nicht neu. »La hizb illa hizb Allah« erwidert der »Khatib« kategorisch: »Es gibt keine Partei, außer der Partei Gottes.«
Cantooitavo
KIRGISTAN
Die Enttäuschung der »Tulpen-Revolution«
Ein Sowjetgeneral hoch zu Roß
Bischkek, im Sommer 2009
Ist in Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans, die Zeit stehengeblie ben? Hoch zu Roß, in Bronze gegossen, reitet dort immer noch der Feldherr Michail Frunse auf den Bahnhof zu. Erinnert man sich in Bischkek, das bis zur Unabhängigkeitserklärung dieser zentral asiatischen Republik sogar den Namen des aus Bessarabien stam menden Eroberers trug, denn gar nicht daran, daß die Rote Armee unter seinem Befehl ganz Zentralasien in die kommunistische Zwangsjacke steckte, daß Frunse den islamischen Widerstand der »Basmatschi« brach und das Emirat Bukhara dem stalinistischen Imperium eingliederte? Sind die Kirgisen – was ihre tragische Ver gangenheit betrifft – so vergeßlich, oder handelt es sich lediglich um eine administrative Schlamperei?
Nicht nur der Revolutionsgeneral Frunse thront noch gebieterisch auf seinem Sockel. Unweit des schönen klassizistischen Operngebäudes, das die Russen in Bischkek wie in so manchen Provinz- und Rayon-Städten in lobenswerter kultureller Absicht hinterließen, ist ein anderes Kolossaldenkmal aus der Sowjetzeit erhalten geblieben. In rotem Marmor ist die vorbildliche Kommunistin Urkuja Salijenda dargestellt. Sie war die erste weibliche Kolchosen-Vorsitzende, nachdem Moskau die Kollektivierung der Viehzucht mitkatastrophalen Folgen für den Bestand der bislang nomadisierenden Herden angeordnet hatte. Die Genossin Salijenda hat typisch asiatische Gesichtszüge. Mit sieghafter Geste reißt sie den Schleier der islamischen Unterdrückung herunter und blickt begeistert ins Leere. Im Jahr 1933 war diese Aktivistin der Sowjet-macht von den »Basmatschi« – von den Räubern und Wegelagerern, wie die Russen diese Kämpfer des Heiligen Krieges schmähten – ermordet worden.
So lange hatte sich also der koranische Widerstand mit völlig un zureichender Bewaffnung gegen die weit überlegenen Verbände der Gottlosen behaupten können. Das verzweifelte Aufbäumen, das im Fergana-Tal und in Tadschikistan seine Bollwerke verteidigte, hat zeitweilig unter dem Befehl des letzten osmanischen Kriegsmini sters Enver Pascha gestanden, der mit seinem kleinen Reitertrupp eine selbstmörderische Attacke gegen das Maschinengewehrfeuer der Bolschewiki ritt. Noch heute pilgern die frommen Tadschiken zu jenem Dorf am Oberlauf des Amu Daria, der dort Pjandsch ge nannt wird, gar nicht weit übrigens von der deutschen ISAF-Fes tung Kundus auf dem Südufer des Flusses entfernt, um diesem letz ten Sendboten des Kalifen von Istanbul zu huldigen.
Die gewaltige Statue Wladimir Iljitsch Lenins mit richtungwei send ausgestrecktem Arm steht zwar nicht mehr auf dem zentralen Platz der kirgisischen Hauptstadt. Sie wurde dort durch das Denk mal des mythischen Nationalhelden Manas ersetzt, einen schwert schwingenden Koloß aus schwarzem Stahl, der als zentrale Figur der kasachisch-kirgisischen Ursprungslegende auftritt und in einem endlosen Epos besungen wird. Doch der Vater der roten Oktober revolution ist keineswegs beiseite geräumt worden. Er wurde an an
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