Die Angst des wei�en Mannes
sogar den Amerikanern zu Beginn der Operation »Enduring Freedom« eine lockere Zusam menarbeit gegen die »Koranschüler« und deren dumpfen Obsku rantismus angeboten hatte.
Für Moskau wäre eine iranische Atombombe weniger furchter regend als das nukleare Potential, das bereits in den Arsenalen Pa kistans lagert. Sollte sich dort eines Tages das befürchtete Chaos einstellen und Islamabad die Kontrolle verlieren, dann könnten sich verfeindete Fraktionen der Atombombe als ultima ratio ihrer Auseinandersetzungen bedienen. Der Westen, so hatte ich in Mos kau erfahren, wird also auf vorsichtige Zurückhaltung stoßen, falls er bei den Russen eine tatkräftige Unterstützung gegen Teheran sucht und gegen die atomare Aufrüstung des Iran mit verschärften Sanktionen oder – auf Drängen Israels – sogar mit militärischen Präventivschlägen vorgehen sollte.
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Derweitgehend säkularisierte Westen ist offenbar nicht mehr in der Lage, diese tiefgreifenden mythischen Gegensätze des Orients zu begreifen. Wie real sie sind, konnte ich noch im April des Jahres 2008 erfahren, als ich nach einem Besuch bei Scheikh Nabil Qaouq, dem Oberbefehlshaber der schiitischen Hizbullah im Südlibanon, einen seiner engeren Mitarbeiter zu einer aufschlußreichen Aus sage bewegte. Die sunnitische Mehrheit innerhalb der islamischen Umma habe die schiitische Glaubensgemeinschaft, deren Miliz, die Hizbullah, sich im Jahr 2006 im Südlibanon im Kräftemessen mit Israel auf so sensationelle Weise bewährt hatte, als »’adu Allah«, als Feind Gottes, bezeichnet und mit dem Fluch des »Takfir« belegt. Die Angehörigen der christlichen Konfessionen, so führte der junge Unbekannte aus, die immerhin doch laut Koran der »Familie des Buches« angehören, genössen bei den rechtgläubigen Sunniten hö heres Ansehen als jene Glaubensbrüder, die sich unmittelbar nach dem Tod des Propheten in einen Erbstreit verwickelt sahen, der bis heute andauert.
Die Politiker des Westens, die zumal in Afghanistan den religiö sen Charakter dieses Abwehrkampfes am Hindukusch völlig zu ignorieren scheinen, sollten eine Erkenntnis beherzigen, die der Major Charles de Gaulle bei seiner Versetzung in das damalige fran zösische Mandatsgebiet Syrien-Libanon wie folgt formulierte: »Vers l’Orient compliqué, je partais avec des idées simples«, und sein ei genes Unverständnis gegenüber den Mythen des Orients gestand.
Kriegsspiele der Shanghai-Unio n
Ein letzter Eindruck von Aktau: Vier großflächige Porträts, die jeweils eine ganze Häuserfassade zudecken, die »Straße der Besten«. An erster Stelle steht natürlich Nursultan Nasarbajew. Nicht weit davon fällt eine Art weißer Tempel ins Auge, der den Gefallenen des Krieges, aber auch allen Opfern der Unterdrückung gewidmet ist.Man wünschte sich, ähnlich schlichte und geschmackvolle Ehrenmäler auch in Deutschland vorzufinden.
In mancher Hinsicht hat sich die russisch-sowjetische Kolonisie rung der Nordhälfte Asiens weit fortschrittlicher und positiver er wiesen, als manche Kritiker behaupten. Um nur die relativ kurze Präsenz der Roten Armee am Hindukusch im späten zwanzigsten Jahrhundert zu erwähnen: Die verbündeten Staaten der Atlanti schen Allianz sind weit davon entfernt, die Emanzipation der af ghanischen Frau so konsequent durchzusetzen, wie das den Sowjets im Verbund mit den lokalen kommunistischen Parteien gelungen war.
Schon am Stadtrand von Aktau nimmt uns die große Steppe auf, und sie läßt uns nicht mehr los. An dieser Stelle sollte man eine Landkarte zur Hand nehmen und mit dem Lineal eine Gerade in nord-nordöstlicher Richtung ziehen. Dort verläuft nämlich die äu ßerste Grenze der unabhängigen Republik Kasachstan. Jenseits davon beginnt die Russische Föderation, und im Umkreis der Ort schaft Ortik verengt sich das Territorium, das der unmittelbaren Oberhoheit Moskaus untersteht, auf einen Schlauch von zwanzig bis dreißig Kilometern. Jenseits davon, an den südlichsten Ausläu fern des Ural-Gebirges, beginnt die Autonome Republik Basch kortostan – früher sagte man Baschkirien –, die zwar Mitglied der Russischen Föderation bleibt, aber wachsenden Anspruch auf Autonomie erhebt. Die turkstämmige Bevölkerungsmehrheit von Baschkortostan bekennt sich zum Islam. Obwohl die Religiosität hier nie ausgeprägt war, läßt sich eine Neubelebung des koranischen Glaubensgutes nicht leugnen, zumal die baschkirische Hauptstadt Ufa zu Sowjetzeiten als Sitz des islamischen
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