Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
„Das würde ich gern glauben. Ich habe aber das schreckliche Gefühl, er hat mich gefunden.“
„Du musst zur Polizei gehen.“ Dalton sah Bill um Bestätigung bittend an und bekam sie. „Je eher, desto besser.“
„Und was soll ich der Polizei erzählen? Dass jemand meine Romane mit seltsamen Botschaften an meine Freunde schickt? Die lachen sich ja schimmelig.“
„Nein, du erzählst ihnen von deinem Verdacht. Bei deiner Vergangenheit und den letzten Ereignissen glaube ich kaum, dass sie lachen werden.“
„Stimmt“, sagte Bill. „Wenn es auch sonst nichts bringt, so werden sie doch wenigstens aufmerksam gemacht. Was hast du zu verlieren?“
Leider hatte sie wenig Vertrauen in die Polizei oder das FBI. Wenn die damals nicht versagt hätten, könnte Timmy noch leben. Das verschwieg sie jedoch und versprach leise: „Ich denke darüber nach. Okay?“
„Bestimmt“, drängte Dalton. „Ich möchte nicht, dass dir etwas zustößt.“
„Ich verspreche, darüber nachzudenken.“
Sie redeten noch eine Weile, und als Anna ihnen versicherte, sie komme allein zurecht, verabschiedeten sie sich.
Auf dem Weg zur Tür blieb Bill stehen und sah sie noch einmal an. „Wie hat Jaye die Neuigkeit aufgenommen? Sie kann so empfindlich sein.“
Anna erschrak. Bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht an Jaye gedacht. Alle Menschen, die ihr wichtig waren, hatten inzwischen angerufen – außer Jaye!
Schuldbewusst schluckte sie trocken. Ausgerechnet Jaye, deren Vertrauen so schwer zu gewinnen gewesen war, die von jedem, dem sie Liebe und Vertrauen geschenkt hatte, belogen und betrogen worden war. Sie würde ihr die Unaufrichtigkeit schwer ankreiden und sie als weiteren Verrat in einer langen Liste vorangegangener einstufen.
Anna verabschiedete eilig ihre Freunde und lief zum Telefon. Sie prüfte den Anrufbeantworter, stellte fest, dass ihre junge Freundin sich nicht gemeldet hatte, und wählte ihre Nummer.
Jaye weigerte sich, ans Telefon zu kommen.
Besorgt kündigte Anna Jayes Pflegemutter an, dass sie zu ihnen kommen werde. Sie musste so schnell wie möglich ein klärendes Gespräch mit Jaye führen.
Anna schaffte es in Rekordzeit zu den Clausens. Doch ihre Hoffnung, Jaye verständlich machen zu können, warum sie ihre Vergangenheit geheim gehalten hatte, erfüllte sich nicht. Jaye blieb abweisend, und ihr Verhältnis war schwer gestört.
„Ich kann es erklären, Jaye“, versuchte sie es erneut.
„Da gibt es nichts zu erklären.“ Jaye zog kurz die Schultern hoch. „Ich habe dir vertraut, und du hast mich belogen.“
„Das habe ich nicht.“ Anna streckte bittend die Hand aus, doch Jaye schnaubte nur verächtlich. Die Sonne sank, und Abenddämmerung umgab sie auf der Veranda. „Hör mir zu, Jaye. Ich bin nicht mehr diese Harlow Grail. Sie existiert nicht mehr. Als ich herzog, habe ich sie abgelegt. Ich habe dir gesagt, wer ich bin. Anna North.“
Jaye schlang fröstelnd die Arme um sich. „Das ist doch Quatsch! Anna North bist du nur zum Teil.“
„Ich habe meinen Namen geändert, ich bin umgezogen. Ich habe wirklich alles hinter mir gelassen, auch meine Eltern.“
„Erwachsene machen das immer so, was? Sie rechtfertigen ihre Fehler und tun so, als würden die Jugendlichen nicht klar denken können.“
„So ist das nicht. Ich versuche dir nur etwas klar zu machen. Ich möchte, dass du verstehst, warum …“
„Warum du mich angelogen hast? Ich bin erst fünfzehn, aber ich weiß, wie mies das ist.“ Ihre Verachtung traf Anna tief. „Wie oft habe ich gehört: ,Du musst dich der Vergangenheit stellen, um sie zu bewältigen‘. Wie oft hast du das gepredigt!“
„Ich habe nicht gelogen. Ich bin jetzt Anna North. Harlow Grail existiert nur noch in der Erinnerung der Menschen. Ich habe diese Identität zurückgelassen.“
„Hast du nicht!“ begehrte Jaye auf. „Das geht gar nicht. Ich weiß das, weil kein Tag vergeht, an dem ich nicht an meinen Dad und das zurückdenke, was er getan hat.“ Um Fassung ringend, hob sie trotzig das Kinn. „Wenn du Harlow Grail wirklich zurückgelassen hättest, würdest du dich nicht so sehr bemühen, dich zu verstecken.“
Sie hat Recht, verdammt. Wie kann jemand in dem Alter so weise sein? „Unsere Situationen sind nicht vergleichbar.“
Jaye spannte sich an, rötliche Flecken auf den Wangen. „Verstehe. Meine Meinung und meine Ansichten sind unbedeutend, weil ich ja nur ein dummes Kind bin.“
„Nein, deine Situation ist anders, weil dein Dad im
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