Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
Immerhin habe ich hart gearbeitet, um veröffentlicht zu werden. Du weißt, wie viel mir Schreiben bedeutet.“ Ihre Augen glitzerten feucht, und sie kämpfte gegen die Tränen an. „Aber ich kann mir nicht vorstellen, im Fernsehen und Radio über das zu reden, was mir widerfahren ist. Ich kann mir nicht vorstellen, Fremden mein Privatleben zu offenbaren. Ich weiß, was es für verrückte Typen da draußen gibt, Dalton. Ich weiß es.“ Sie presste eine Faust auf die Brust. „Und ich kann mich nicht so bloßstellen. Ich kann mich nicht so angreifbar machen.“
„Und wenn du es nicht tust …“
„Verliere ich alles, wofür ich gearbeitet habe.“ Tränenerstickt fügte sie hinzu: „Es ist so unfair.“
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich bin für dich da, falls du mich brauchst.“
„Ich weiß.“ Sie lehnte sich an ihn, die Wange an seiner Schulter. „Dafür bin ich dir auch sehr dankbar.“
Die Türglocke läutete, und Bill trat ein. In seinem marineblauen Westenanzug mit weißem Hemd sah er aus wie ein Bankier.
„In flagranti ertappt“, neckte er, „und ich dachte, ich könnte euch vertrauen.“
Anna löste sich von Dalton und lächelte ihn liebevoll an. „Wenn ich auch nur den Hauch einer Chance hätte, würde ich ihn dir sofort wegnehmen.“
Bill legte gespielt schockiert eine Hand aufs Herz. „Und ich dachte immer, du wolltest mich.“
Sie lachte kopfschüttelnd, dankbar, solche Freunde zu haben. „Was tust du so früh am Morgen hier? Du siehst so …“
„Langweilig aus?“ beendete er den Satz und blickte angewidert an sich hinab. „Treffen mit einer Gruppe von Leuten, die unsere Veranstaltung Kunst im Park finanzieren will. Aus irgendeinem Grund geben die ihr Geld lieber Männern in blauen Anzügen. Da mach sich einer einen Vers drauf.“ Er kam an den Tresen und fragte Dalton: „Hast du ihr den Brief gegeben?“
Anna warf einen Blick über die Schulter und erwischte Dalton dabei, wie er Bill ein Zeichen gab, den Mund zu halten. Sie fragte stirnrunzelnd: „Was für ein Brief, Dalton?“
„Sei mir nicht böse. Er kam gestern, während du beim Lunch warst.“
„Er ist von deinem kleinen Fan“, fügte Bill hinzu und rieb sich die Hände. „Die Saga geht weiter.“
Dalton sandte Bill einen strafenden Blick und zog den Umschlag aus der Schürzentasche. Er hielt ihn Anna hin. „Ich weiß, wie ihr letzter Brief dich bedrückt hat. Und gestern warst du so niedergeschlagen, dass ich dir den Tag nicht noch mehr verderben wollte. Dann wollte ich ihn dir gleich heute Morgen geben, aber …“
„Ich habe dir keine Gelegenheit gelassen. Ist schon okay, Dalton.“ Sie nahm den Brief, ein wenig besorgt, aber auch voller Hoffnung. Sie hatte viel über Minnie nachgedacht und ihre Briefe mehrfach gelesen. Allmählich war sie zu der Überzeugung gelangt, dass das Mädchen ein Entführungsopfer war.
In ihrer Sorge hatte sie schließlich eine Freundin beim Sozialdienst angerufen und ihr alle Briefe vorgelesen. Ihre Freundin hatte die Briefe ebenfalls für verdächtig gehalten und Annas Befürchtungen geteilt. Ohne konkrete Beweise, die Aussage eines Tatzeugen oder das geschriebene Eingeständnis des Mädchens, misshandelt zu werden, waren ihr jedoch die Hände gebunden.
Trocken schluckend öffnete Anna den Brief. Sie hoffte, ihre Sorge würde zerstreut, fürchtete aber, es kam anders.
Der Brief begann wie die vorangegangenen, mit Grüßen, einigen Sätzen über Tabitha und Erzählungen kleiner Ereignisse aus Minnies Leben. Doch dann folgte eine erschreckende Wende:
„Er plant etwas Böses. Ich weiß nicht, was, aber ich habe Angst. Um dich. Und um die andere. Ein anderes Mädchen. Ich versuche, mehr herauszukriegen.“
Anna las die wenigen Zeilen erneut mit zunehmender Beklemmung. Sie hob den Kopf und sah ihre Freunde an. „Er wird es wieder tun.“
Die Männer tauschten besorgte Blicke. „Was tun, Anna?“ fragte Dalton.
„Ein anderes Mädchen.“ Mit zitternder Hand gab sie ihm den Brief. „Ich glaube, er will ein weiteres Mädchen entführen.“
Bill sah Dalton über die Schulter, um den Brief ebenfalls zu lesen. Als er fertig war, stieß er einen Pfiff aus. „Gefällt mir aber gar nicht, wie das klingt.“
„Mir auch nicht.“ Dalton furchte die Stirn. „Was willst du tun?“
Anna dachte einen Moment darüber nach. Sie hatte nur wenige Möglichkeiten. Schließlich traf sie die einzig sinnvolle Entscheidung, band die Schürze ab, holte ihre Jacke aus dem
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