Die Angst im Nacken - Spindler, E: Angst im Nacken
Gefängnis sitzt.“ Sie hielt ihre verstümmelte Hand hoch. „Der Mann, der mir das hier angetan hat, wurde nie gefasst. Ich verstecke mich nicht vor meiner Vergangenheit, ich verstecke mich vor ihm. Ich habe Angst.“
Jaye schien für einen Moment milder gestimmt, und Anna glaubte schon, sie überzeugt zu haben. Doch der Moment verstrich, und Jaye schüttelte den Kopf. „Echte Freunde sind hundertprozentig ehrlich zueinander. Ich war es. Aber du … ich weiß nicht mal, wer du bist.“
„Tut mir Leid, Jaye. Verzeih mir.“ Sie streckte ihr wieder eine Hand hin. „Bitte.“
„Nein.“ Jayes Augen füllten sich mit Tränen, und sie wich einen Schritt zurück. „Du hast mich angelogen. Ich kann und will nicht mehr deine Freundin sein!“
Sie drehte sich um, rannte ins Haus und schlug die Tür zu.
Es brach Anna das Herz.
10. KAPITEL
Mittwoch, 17. Januar,
French Quarter.
In den nächsten vier Tagen rief Anna Jaye mindestens zweimal täglich an, und jedes Mal weigerte sie sich, mit ihr zu sprechen.
Der Bruch ihrer Freundschaft hinterließ eine große Lücke in Annas Leben. Nur Bill und Dalton glaubten unerschütterlich daran, dass Jaye ihr bald verzieh und sich wieder bei ihr meldete.
Anna hoffte es, sie kannte Jaye jedoch zu gut. Wenn sie sich von einem ihr nahe stehenden Menschen hintergangen fühlte, beendete sie die Beziehung radikal, ja brutal. Das war eine Art Schutzmechanismus vor weiteren Kränkungen.
Allerdings hätte sie nie geglaubt, dass Jaye auch ihr gegenüber darauf zurückgreifen würde.
Seufzend ging sie durch die Eingangstür der „Perfekten Rose“. Dalton war heute Morgen vor ihr da. Er stand hinter der Kasse und zählte das Geld in der Lade.
„Entschuldige, dass ich so spät bin“, sagte sie, zog ihre Jacke aus und ging auf den Arbeitsraum zu.
Er sah lächelnd auf. „Guten Morgen.“
„Was ist daran gut?“
„Ich vermute, Jaye will immer noch nicht mit dir reden.“
„Da vermutest du richtig.“ Sie hängte ihre Jacke auf den Haken an der Tür und band sich die Schürze um. „Ihre Pflegemutter beginnt sich über meine Anrufe zu beschweren. Heute sagte sie mir klipp und klar, Jaye werde zurückrufen, wenn sie mit mir reden wolle.“
Er zog die Stirn kraus. „Charmant. Sie scheint in dieser Sache nicht auf deiner Seite zu stehen.“
„Kaum.“ Anna ging zur Kasse. „Irgendwie bin ich für alle der Feind.“
„Jaye kriegt sich schon wieder ein. Wenn sie dir fehlt, fehlst du ihr auch.“
Die Sache mit Jaye belastete sie sehr, und sie wechselte das Thema. „Mein Agent hat heute Morgen angerufen, deshalb komme ich so spät.“
„Endlich! Was sagen sie zu dem neuen Buch?“
„Sie wollen es …“, sie hielt eine Hand hoch, um ihn an einer voreiligen Gratulation zu hindern, „… aber zu ihren Bedingungen.“
„Zu ihren Bedingungen? Was heißt das?“
„Das heißt, sie wollen das Buch nur, wenn sie die Werbung dafür nach ihren Vorstellungen gestalten dürfen. Ihrer Ansicht nach ist mit Harlow Grail wohl sehr viel mehr Kasse zu machen als mit Anna North.“
„Das verstehe ich nicht.“ Er furchte wieder die Stirn. „Deine neue Geschichte hat doch gar nichts mit deiner damaligen Entführung zu tun.“
„Offenbar ist meine Vergangenheit aber genau der Haken, mit dem man die Medien ködern kann“, erklärte sie bitter. „Wie mir mein Agent verdeutlichte, sind meine Bücher nur irgendwelche spannenden Geschichten. Zu etwas Besonderem macht sie lediglich die Tatsache, dass sie von der kleinen, gekidnappten Hollywoodprinzessin Harlow Grail geschrieben wurden.“
„Das sitzt. Tut mir Leid, Anna.“
„Es wird noch schlimmer. Wenn ich ihre Werbepläne nicht unterstütze, lassen sie mich fallen. Ich bin für sie nicht profitabel genug.“
„Sie wollen alles oder nichts.“
„Offensichtlich.“ Sie zählte das Geld in den Bankbeutel, froh, etwas tun zu können. „Mein Agent möchte meine Zustimmung. Er versteht mein Zögern nicht. Er sagt, die meisten Autoren würden für die Chance morden, endlich den großen Durchbruch zu erleben und viel Werbung zu erhalten. Außerdem sei die Katze jetzt sowieso aus dem Sack, und die Welt sei nicht stehen geblieben.“
„Netter Bursche, so verständnisvoll.“
„Ich habe mir immer eingebildet, er sei auf meiner Seite. Jetzt merke ich, dass er auf der Seite steht, wo das Geld zu holen ist.“
Dalton drückte sie kurz an sich. „Was hast du vor?“
„Ich weiß noch nicht. Ich möchte das Angebot annehmen.
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