Die Angstmacher
Knieverletzung zugezogen. Am Abend des Unfalltags schwillt das Bein so stark an, dass sie sich doch noch in die Klinik bringen lässt. Was genau verletzt ist, können die Ärzte zunächst nicht erkennen. Erst nach und nach stellt sich das ganze Ausmaß der Verletzung heraus: Außenmeniskusabriss, Gelenkeinbruch, Tibiakopfbruch. Fünf Monate kann Stefanie Jeske nicht arbeiten. Vor drei Jahren hatte sie sich selbstständig gemacht. Sie hat ein Unternehmen gegründet, das Internetseiten erstellt. Jetzt hat sie große Schmerzen und verdient nichts. Aber die Kosten laufen weiter. Und weitere kommen hinzu. Jemand muss im Haushalt helfen, Stan und Olli müssen ausgeführt werden.
Ein Fall für die Haftpflichtversicherung der Nachbarn. Schließlich war der Hund, der die ganze Misere verursacht hat, ja versichert. Doch der Hundehaftpflichtversicherer, die DBV Winterthur, stellt sich quer. Er beruft sich auf die Schadensmeldung des Nachbarn. »Der Hundehalter hat in der Schadensmeldung angegeben, dass er nicht gesehen hat, dass der Hund mich umgelaufen hat«, erklärt Stefanie Jeske. Die Schadensmeldung und die Schilderung der Geschädigten haben sich widersprochen, wird der Versicherer später sagen. Deshalb habe er gar nicht zahlen können.
Die Unternehmerin ist zum Zeitpunkt des Unfalls bei der Auxelia rechtsschutzversichert. Sie schaltet einen Anwalt ein. Die Gesellschaft trägt die Kosten. »Aber die Auxelia hat mir gekündigt«, sagt sie. Dass Rechtsschutzversicherer nach einem kostenträchtigen Prozess ihres Kunden kündigen, passiert oft. Für die juristischen Auseinandersetzungen, die aus der Zeit des bestehenden Versicherungsschutzes resultieren, müssen die Unternehmen aber noch aufkommen.
Über Jahre zieht sich der Rechtsstreit hin, bis heute ist die Sache nicht endgültig abgeschlossen. Von den Anwälten der Gegenseite und dem Sachbearbeiter der DBV Winterthur, die mittlerweile von der AXA übernommen wurde, muss sich Jeske allerhand anhören. Zum Beispiel, dass sie wohl nach einer feuchtfröhlichen Party gestolpert sei, schließlich habe ja das Jahresende vor der Tür gestanden. »Beweise« für diese Unterstellung gibt es nicht. Es kommt zum Prozess. Vor Gericht verheddern sich die Nachbarn mit dem Mischlingshund in Widersprüche. Sie geben an, Stefanie Jeske habe mit den Hunden gespielt und sei dann gestürzt. »Sie wollten eine Mitschuld konstruieren«, sagt die Unternehmerin. Das Gericht hält die Aussage nicht für glaubwürdig. Das Landgericht Düsseldorf spricht Stefanie Jeske eine Rente zu, das Oberlandesgericht kassiert die Rente 2008 wieder. Es verurteilt die Versicherung zu Schmerzensgeld in Höhe von 10 000 Euro, 5000 Euro für Verdienstausfall und 2000 Euro für weitere Ausgaben. Außerdem verpflichtet das Gericht den Versicherer für künftige, auf den Unfall zurückgehende Schäden aufzukommen. Die Kosten, die Jeske bis dahin hatte, deckt das ihr zugesprochene Geld nicht. »Ich bleibe auf einem fünfstelligen Betrag sitzen«, sagt sie.
Ihr damaliger Anwalt hat nicht die ganze Bandbreite des Möglichen ausgereizt. Dazu gehört der im Versicherungsjargon sogenannte »Haushaltsführungsschaden«, den Verletzte einfordern können. Der Versicherer muss dafür aufkommen, dass eine Person nicht mehr putzen, kochen oder – wie im Fall von Stefanie Jeske – die Hunde ausführen kann. Die Ausgaben dafür hat sie nicht wiederbekommen. Nicht nur Hausmänner und Hausfrauen haben ein Recht auf diese Entschädigung. Doch von allein zahlt der Versicherer nicht. Der Geschädigte oder sein Anwalt muss diesen Anspruch anmelden. Das kann er aber nur, wenn er davon weiß. Viele Opfer und auch viele Anwälte wissen das jedoch nicht. Der Versicherer ist nicht dazu verpflichtet, über alle Ansprüche zu informieren. Er profitiert von dem Nichtwissen.
Um einen »Haushaltsführungsschaden« geltend zu machen, können die Verunglückten Quittungen für Haushaltshilfen oder Hundeausführer einreichen. Meistens wird der »Haushaltsführungsschaden« aber fiktiv abgerechnet. Das bedeutet: Der Geschädigte bekommt Geld für den Schaden, ohne dass er nachweisen muss, ihn behoben oder eine Dienstleistung in Anspruch genommen zu haben. Dann gibt das Unfallopfer detailliert an, was es im Haushalt für Arbeiten erledigt. Ist es Winter, wird auch Schneeschippen berücksichtigt. Müssen Kinder oder Tiere versorgt werden, fließt auch das mit ein. Auf dieser Grundlage wird eine Stundenzahl ermittelt. Pro Stunde zahlen die
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