Die Angstmacher
Gefahr einer wirtschaftlichen Abhängigkeit ist groß«, weiß Hennemann. In den USA wären solche wechselnden Interessenkonstellationen nicht möglich. Dort müssen sich Anwälte entscheiden, auf welcher Seite sie stehen.
In Deutschland ist es absolut legal, wenn ein Jurist für Versicherer und deren Kunden oder Geschädigte arbeitet. Er darf nur nicht gleichzeitig in derselben Angelegenheit das Unternehmen vertreten, gegen das ein Mandant vorgehen will. Spezialisten für Versicherungsrecht sind in einer Arbeitsgemeinschaft des Deutschen Anwaltsvereins zusammengeschlossen, der Arbeitsgemeinschaft für Versicherungsrecht. Sie hat rund 1400 Mitglieder, darunter sind schätzungsweise mehr als 400 Fachanwälte für Versicherungsrecht. »Die Arbeitsgemeinschaft ist eine strategische Plattform der Versicherungswirtschaft«, sagt Hennemann. Aktiv sind hier in erster Linie Anwälte, die auch für Unternehmen der Assekuranz arbeiten. Im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft ist kein Jurist, der nur Geschädigte oder Kunden vertritt. »Die Spitze der Arbeitsgemeinschaft bemüht sich auch gar nicht, solche Kollegen zu gewinnen«, sagt er.
In der Tat: Anders als zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im Deutschen Anwaltsverein positionieren sich die Spezialisten für Versicherungsrecht nicht auf einer Seite. Die Arbeitsgemeinschaft für Verkehrsrecht steht von ihrem Selbstverständnis her im Lager der Geschädigten. Die Arbeitsgemeinschaft der Versicherungsrechtler nicht. »Wir sind neutral«, heißt es dort. Die Arbeitsgemeinschaft weist denn auch den Vorwurf zurück, sie sei eine Plattform der Versicherungswirtschaft. Im Vorstand sei zwar kein Anwalt, der nur die Interessenvon Geschädigten wahrnimmt, aber auch keiner, der nur Versicherer als Mandanten habe. Versicherer sind stark, Verbraucher und Kunden sind schwach. Wenn sich schon die Anwaltschaft nicht um ihre Anliegen kümmert, wer soll es dann tun? Ist das Bekenntnis zur »Neutralität« nicht die Bestätigung von Hennemanns Vorwurf? Nein, sagen die Anwälte. Es habe für den Verbraucher Vorteile, wenn sein Anwalt weiß, wie die Gegenseite denkt und strategisch vorgeht, weil er selbst auch für Versicherer arbeitet.
Die Lage ist verquer. Die meisten Menschen, die gegen einen Versicherer vorgehen wollen, landen bei einem Feld-Wald-und Wiesen-Anwalt. Der kann gegen die hoch spezialisierten Juristen der Gegenseite meistens nicht viel ausrichten. Die besser Informierten und die, die von ihrem Anwalt enttäuscht sind, kommen zu einem Fachanwalt für Versicherungsrecht. Da sind sie zwar bei einem Spezialisten. Doch oft bei einem, der auch oder vor allem für Versicherer tätig ist. Viele Anwälte vertreten einen Geschädigten oder Kunden nicht, wenn der Gegner ein Versicherer ist, der zu ihrer Mandantschaft gehört. Aber das ist nicht zwangsläufig so. Es gibt durchaus Juristen, die Mandanten gegen einen Versicherer vertreten und die für denselben Versicherer in anderen Fällen Prozesse geführt haben. Das gilt nicht als Mandantenverrat. Aber der Bürger erfährt nicht unbedingt, dass sein Gegner zu einem anderen Zeitpunkt von seinem eigenen juristischen Beistand vertreten wurde. Wer seinen Anwalt danach fragt, wird wahrscheinlich eine ehrliche Antwort bekommen. Das Berufsethos der Anwälte ist hoch. Aber die meisten Bürger kommen gar nicht auf die Idee, den Juristen zu fragen, ob der für die Assekuranz tätig ist. Viele denken, dass die Unternehmen nicht auf niedergelassene Anwälte zurückgreifen, weil sie Heerscharen von Juristen im eigenen Haus haben. Und die Anwälte sind nicht verpflichtet, einen Geschädigten oder verärgerten Kunden über die Tätigkeit für die andere Seite aufzuklären.
Übermächtige Gegner
Der Deutsche Anwaltsverein hat die Arbeitsgemeinschaft für Versicherungsrecht bereits 1976 ins Leben gerufen. Die Spezialisierung »Fachanwalt für Versicherungsrecht« gibt es dagegen noch nicht sehr lange, deshalb sind unter den Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft relativ wenig Fachanwälte. Erst 2003 beschloss die Satzungsversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer die Einführung dieses Fachanwalts. Die Arbeitsgemeinschaft hat gemeinsam mit der Deutschen AnwaltAkademie das Ausbildungskonzept für den Fachanwalt entwickelt. Die Dozenten der Seminare kommen überwiegend aus der Arbeitsgemeinschaft, viele aus großen Kanzleien, die für Versicherer tätig sind. Früher waren Anwälte in kleinen Kanzleien tätig, sie arbeiteten vielleicht mit zwei
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