Die Angstmacher
Vertrag zwischen Stadt und AXA gern sehen, aber man lässt ihn nicht. Stattdessen sollen Geschädigte und Angehörige eine »Vergleichs- und Abfindungserklärung« unterzeichnen, die die AXA ihnen schickte. Darin steht, dass sie gegen Zahlung einer bestimmten Summe auf alle weiteren Ansprüche verzichten. »Gerade bei psychischen Verletzungen sind die Spätfolgen aber schwer abschätzbar«, sagtAnwalt Julius Reiter, der viele Geschädigte und Angehörige vertritt. Möglicherweise stellt sich erst Jahre später heraus, dass ein Besucher der Loveparade aufgrund der Massenpanik ein schweres Trauma entwickelt hat und berufsunfähig wird. Der Anwalt kritisiert, dass die Unterzeichner nicht nur gegenüber der AXA und der Stadt Duisburg auf alle weiteren Ansprüche verzichten sollen, sondern auch »gegen jeden Dritten, sofern er Gesamtschuldner ist«. Damit verzichten die Geschädigten auch auf Ansprüche, die sie gegen das Land NRW haben könnten, kritisiert der Anwalt. Die Sache hat auch die Landespolitik beschäftigt. Die FDP-Fraktion hat zwei kleine Anfragen zum Verhalten der AXA an die Landesregierung gestellt und eine aktuelle Viertelstunde beantragt. Der FDP-Abgeordnete Horst Engel wollte unter anderem wissen, was die Landesregierung über den Vertrag zwischen AXA und der Stadt Duisburg weiß und was sie unternimmt, damit die Betroffenen angemessen entschädigt werden. Das zuständige Innenministerium antwortet sehr zurückhaltend. In der Vorbemerkung zur Antwort auf die kleine Anfrage zitiert es ausführlich aus einer Pressemitteilung der Stadt Duisburg und der AXA. Und ansonsten scheint man dort nichts zu wissen, die Anfrage wird mit Allerweltswissen beantwortet. Allerdings: Das nordrhein-westfälische Innenministerium steht in Sachen Loveparade selbst im Kreuzfeuer, denn es hat den Polizeieinsatz bei der Veranstaltung zu verantworten. Vor diesem Hintergrund würde sich das Ministerium ausgesprochen angreifbar machen, wenn es den Haftpflichtversicherer der Loveparade kritisieren würde. Die AXA weist Kritik an ihrer Vorgehensweise zurück. Der Versicherer zieht sich auf die Rechtslage zurück. Dass die Betroffenen sein Vorgehen als unangemessen und bürokratisch empfinden, kann er nicht nachvollziehen.
Im Fall der Loveparade steht die AXA unter öffentlicher Beobachtung. Schlagzeilen wegen einer für die Geschädigten nicht zufriedenstellenden Schadenregulierung sind schlecht fürs Ansehen. Der Eindruck, die AXA würde den Opfern eines so schlimmen Ereignisses wie der Duisburger Massenpanik dasLeben unnötig schwer machen, ist fatal fürs Geschäft. Das ist für die Opfer und ihre Angehörigen ein wichtiger Schutz. Die Öffentlichkeit ist ein wichtiges Korrektiv. Aber wie mag es denen gehen, an deren Schicksal die Öffentlichkeit nicht Anteil nimmt? Viele fühlen sich systematisch als Simulanten und Betrüger von Versicherern hingestellt. Oder die Advokaten der Versicherer versuchen, dem Opfer die Schuld am Geschehen zuzuschieben. Wie es gerade passt. So erging es auch der Unternehmerin Stefanie Jeske. Die Düsseldorferin setzt sich nicht nur gegen einen Versicherer zur Wehr. Sie hat Konsequenzen aus dem gezogen, was ihr widerfahren ist. Die unerschrockene Frau will Opfern Gehör verschaffen. Deshalb hat sie die Organisation subvenio gegründet.
Wenn die Haftpflicht nicht zahlt
Seit dem 29. Dezember 2004 ist für Stefanie Jeske nichts mehr, wie es war. Es ist schon dunkel, als die Neununddreißigjährige mit ihren beiden Malteser-Hunden Stan und Olli in der Wohnung in der Düsseldorfer Innenstadt aufbricht und nach draußen geht. Doch heute kommt sie nicht weit. Sie ist nur wenige Meter von ihrem Haus entfernt, da stürmt der Hund der Nachbarn auf sie zu. Der Mischling reißt sie um, sie stürzt und kann nicht aufstehen. Es schmerzt höllisch. Aber sie will nicht, dass ein Krankenwagen gerufen wird. So schlimm wird es schon nicht sein, denkt sie. Nachbarn bringen sie zurück in ihre Wohnung. Dort verabschiedet sich der Besitzer des Mischlings. »Er sagte: Machen Sie sich keine Sorgen, wir haben eine Hundehalterhaftpflichtversicherung«, erinnert sich Stefanie Jeske.
Die Unternehmerin weiß an diesem Abend nicht, dass sie allen Grund hätte, sich Sorgen zu machen. Was in den kommenden Jahren folgt, ist nicht nur in körperlicher Hinsicht eine Tortur. Drei Operationen muss sie über sich ergehen lassen, und damit wird die Sache nicht erledigt sein. Bei dem Sturz hat sichStefanie Jeske eine komplizierte
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