Die Angstmacher
»Langlebigkeitsrisiko« besteht darin, dass Versicherte länger leben, als die Aktuare kalkuliert haben. Damit das nicht geschieht, arbeiten sie mit großen Sicherheitspuffern. Je größer der Sicherheitspuffer für das Unternehmen, desto geringer ist die Rente für den Kunden – oder desto mehr Beitrag muss er für die gewünschte Rente zahlen.
Die Sterbetafeln für die Branche erstellt die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV). Die Versicherungsmathematiker sind dabei äußerst »umsichtig«. Es gibt große Spielräume bei der Ermittlung der Lebenserwartung. Bei der Sterbetafel mit der Bezeichnung DAV 2004R wird eine im Jahr 1941 geborene Frau 93,8 Jahre alt, ein Mann 90 Jahre. Die Aktuare selbst gehen bei den Berechnungen für eine andere Sparte, und zwar für die private Krankenversicherung, von anderen, niedrigeren Lebenserwartungen aus. Die Sterbetafel PKV-2007, mit der die privaten Krankenversicherer arbeiten, sieht eine Lebenserwartung von 1941 geborenen Frauen von 89,8 Jahren vor, bei Männern sind es 86,6 Jahre. Die Sterbetafel Heubeck-Richttafeln 2005G, die Unternehmen und Finanzdienstleister für die Kalkulation von Betriebsrenten nutzen, kommt auf 87,8 Jahre für Frauen und 83,7 Jahre für Männer. Das Statistische Bundesamt kommt zu noch niedrigeren Ergebnissen. »Sterbetafeln und Trends in privaten Versicherungssystemen (Lebensversicherung, bAV, Krankenversicherung und Pflegeversicherung) sind deshalb unterschiedlich, weil ein System mit Beitrags- und Rentengarantie wie zum Beispiel die Lebensversicherung eine höhere Sicherheit in der Vorhersage der Sterblichkeitsentwicklung erfordert als ein System mit der Möglichkeit der Beitragsanpassung wie die Krankenversicherung«, begründen die Aktuare die Unterschiede. 10 Übersetzt heißt das: In der privaten Krankenversicherung macht es nichts, wenn die Mathematiker sich verrechnen. Das muss allein der Kunde ausbaden. Die Gesellschaften können die Beiträge nach Bedarf anheben.
Für die Assekuranz sind unterschiedliche Sterbetafeln für unterschiedliche Risiken selbstverständlich. »Je nach Risikoschutz gehen die Sicherheiten, mit denen wir den gesetzlichen Anforderungen nach ausreichend vorsichtiger Kalkulation nachkommen, in die eine oder die andere Richtung«, sagt Allianz-Mann Volker Priebe. Die Kunden der privaten Rentenversicherer würden in der Regel länger leben als der Bevölkerungsdurchschnitt, sagt er. Für eine fünfundsechzigjährige Frau ergebe sich allein schon aus diesem Unterschied eine um vier Jahre erhöhte Lebenserwartung. Durch die Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts sowie die einzubauenden Sicherheiten komme nochmals eine jeweils um zwei Jahre höhere Lebenserwartung dazu, so Priebe. In der Risikolebensversicherung dagegen bedeute vorsichtiges Kalkulieren, von einer höher als im Durchschnitt zu beobachtenden Sterbewahrscheinlichkeit auszugehen. Sollte sich der Versicherer verkalkulieren und deshalb mehr Geld übrig behalten, muss er davon den Versicherten mindestens 75 Prozent gutschreiben, argumentiert der Allianz-Mann. Der Wettbewerb unter den Versicherungsunternehmen leiste ein Übriges, um die Versicherungsnehmer angemessen an den Überschüssen zu beteiligen, glaubt Priebe
Aber: Einen wirklichen Wettbewerb gibt es in der Assekuranz nicht, dieses Korrektiv entfällt. Versicherungsmathematiker und Verbraucherlobbyist Kleinlein ist davon überzeugt, dass die Aktuare übervorsichtig sind. Sie berufen sich darauf, dass die allgemeine Bevölkerungssterbetafel für die Versicherer nicht geeignet ist, weil deren Kunden nicht den Durchschnitt repräsentieren. Früher schlossen in erster Linie Gutbetuchte eine private Rentenversicherung ab. Besserverdienende leben nachweislich länger als Geringverdiener. Heute schließen allerdings auchviele Menschen mit mittleren und geringen Einkommen eine private Rentenversicherung ab. Bei ihren Berechnungen stützen sich die Aktuare jedoch weiterhin auf die Erfahrungen der Versicherer aus den vergangenen Jahrzehnten. »Statt die Tafeln zu korrigieren, haben die Aktuare die höhere Lebenserwartung der Vermögenderen noch stärker gewichtet«, kritisiert Kleinlein. Das lohnt sich. Die Risikogewinne dürfen sie ja zu einem Viertel behalten.
Zu eigenen Gunsten verrechnen
Noch rentabler ist das Verkalkulieren für die Assekuranz bei den Kosten für die Verträge. Hier dürfen sie die Hälfte von dem behalten, was unterm Strich übrig bleibt. Diese sogenannten Kostengewinne entstehen, wenn
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