Die Angstmacher
Reserven. Diestillen Reserven entstehen, wenn der Marktwert einer Kapitalanlage höher ist als der in den Büchern verzeichnete Wert. Stehen Immobilien mit einem Wert von 80 Millionen Euro in der Bilanz, würden bei einem Verkauf aber 100 Millionen Euro bringen, liegt die stille Reserve bei 20 Millionen Euro. Bis höchste Gerichte und Gesetzgeber die Versicherer dazu gezwungen haben, auch Teile der stillen Reserven an die Kunden auszuschütten, haben die Gesellschaften sie nicht weitergegeben. Im Jahr 2005 hat der Bund der Versicherten vor dem Bundesverfassungsgericht in dieser Frage einen historischen Sieg errungen. Sie bräuchten die stillen Reserven als Sicherheitspuffer, argumentierten die Versicherer. »Sicherheit« ist ein Argument, das die Branche gerne anführt, um zu begründen, warum die Kunden mehr zahlen und weniger bekommen sollen. Noch immer beteiligen die Versicherer die Kunden nicht angemessen, sagt Verbraucherschützerin Edda Castelló: »Die Versicherer kürzen woanders, und für den Verbraucher bleibt genauso wenig übrig wie vorher.«
Sterbetafeln nach Bedarf
Die meisten Verträge in den Beständen der Lebensversicherer sind vermögensbildende Policen. Sie sind für die Assekuranz und ihre Vertriebe lukrativer als Risikolebensversicherungen. Bei einer Risikolebensversicherung zahlt der Kunde eine Prämie, stirbt er, bekommen die Erben die vereinbarte Summe. Das ist eine sinnvolle Sache, um Kinder oder nicht verdienende Partner abzusichern. Erlebt der Versicherte das Ende des Vertrags, bekommt er nichts. Dafür sind die Verträge vergleichsweise günstig. Das macht sie attraktiv für Verbraucher, aber unattraktiv für Versicherer und Vermittler. Die Provision, die Verkäufer bekommen, hängt von der Höhe der Prämie ab. Kapitallebensversicherungen, bei denen Risikoschutz und Vermögensbildung kombiniert werden, bringen ihnen mehr. Für den Kunden sind diese Policen oft schlecht, denn der Risikoschutz entspricht oftnicht der nötigen Höhe, und das Kapital wächst wegen der vielen Abzüge sehr langsam.
Die Unternehmen haben drei Möglichkeiten, Gewinn mit einer Lebensversicherung zu produzieren. Sie legen das Geld erstens gut an und erwirtschaften hohe Kapitalerträge. Von den Gewinnen aus Kapitalerträgen muss der Versicherer dem Kunden mindestens 90 Prozent gutschreiben, 10 Prozent darf das Unternehmen behalten. Das schreibt die Finanzaufsicht den Versicherern in einer Verordnung vor. Zweitens gibt es die Risikogewinne und drittens die Kostengewinne. Risikogewinne entstehen so: Sterben weniger Kunden mit einer Kapitallebensversicherung mit Todesfallschutz, als der Versicherer kalkuliert hat, bleibt Geld übrig. Bei der Rentenversicherung ist es umgekehrt. Je länger der Kunde lebt, desto geringer ist der Gewinn für den Versicherer. Sterben in der Lebensversicherung weniger Kunden als gedacht und bei der privaten Rentenversicherung viele früher als kalkuliert, bleibt Geld übrig. Diese Erträge müssen im Verhältnis 25 Prozent für das Unternehmen und 75 Prozent für die Versichertengemeinschaft geteilt werden, auch das schreibt die Finanzaufsicht den Unternehmen vor. An jedem Euro, um den sich der Versicherer verkalkuliert, verdient er also 25 Cent. Im Jahr 2009 haben die Lebensversicherer Risikogewinne in Höhe von 6,5 Milliarden Euro verbucht.
Sehr vorsichtig zu sein bestimmt die Geschäftspolitik der Versicherer. Lebensversicherer müssen auf Sicherheit bedacht sein, das ist auch völlig richtig so. Für den Kunden wäre es äußerst ungünstig, wenn die Gesellschaft pleitegeht. Allerdings ist in der Bundesrepublik noch kein Lebensversicherer in die Insolvenz gegangen. Die deutsche Finanzaufsicht ist streng. Viele Lebensversicherer sind denn auch übertrieben vorsichtig – weil ihnen das Profit bringt. Auf Kosten der Versicherten.
Bei privaten Rentenversicherungen verspricht der Anbieter die Zahlung einer Rente bis zum Lebensende. Dass die angenommene Lebenserwartung für die Kalkulation sehr wichtig ist, liegt auf der Hand: Das bis zum Rentenbeginn angesammelteKapital muss bis zum letzten Lebenstag reichen. Die Versicherer rechnen die Lebenserwartung nicht für jeden Kunden einzeln aus, sondern für Gruppen. Dazu arbeiten sie mit sogenannten Sterbetafeln. In diesen Tafeln wird aufgeführt, wie viele von 1000 Personen eines Jahrgangs zum Beispiel in 20 oder 30 Jahren noch leben. Damit soll in der Rentenversicherung das »Langlebigkeitsrisiko« für den Anbieter begrenzt werden. Das
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