Die Angstmacher
mit dem Rücken zu einem hohen Fenster. »Hallo, hier ist Herr Kaiser«, ruft ein Mann von draußen, der hochhüpft, um in ihr Wohnzimmer zu schauen. Die Frau blickt sich genervt um. Eine sonore Männerstimme aus dem Off ertönt. »Früher hatten Sie den Vertreter im Wohnzimmer«, sagt die Stimme. Ein Handy klingelt. »Heute haben Sie Ihren Berater in der Tasche.« Es kann gar keine Rede davon sein, dass die Mitarbeiter von CosmosDirekt Versicherungsberater sind. Wenn Finanzvertriebe wie AWD oder MLP ihre Leute Berater nennen, bricht ein Sturm der Entrüstung los.Beim Direktversicherer scheint das nichts zu machen. Dabei ist der Begriff des Versicherungsberaters geschützt, das gilt auch für CosmosDirekt.
Auch wenn die Beschäftigten von CosmosDirekt alles andere als Callcenter-Drücker sind, sie sind keine unabhängigen Experten, die Verbraucher ausschließlich zu deren eigenem Wohl beraten. Sie sollen Anrufer zum Abschluss weiterer Verträge bewegen. Auch sie sollen verkaufen. Dafür gibt es Anreize. Es gibt den »Mitarbeiter des Monats« und den »Mitarbeiter des Jahres«. Dabei geht es nicht in erster Linie um ideelle Ehrungen à la »Held der Arbeit«. Wer viele Abschlüsse vorweisen kann, bekommt einen finanziellen Bonus. Individuell. Das ist ein klassischer Verkaufsanreiz. Berater haben so etwas nicht. Zusätzliches Geld – für die Dame an der Pforte bis zum Vorstandsvorsitzenden – gibt es auch, wenn die Kundenzufriedenheitsbefragung die selbst gesteckten Ziele erreicht.
Das, was Verbraucher am Telefon bekommen, ist auch im rechtlichen Sinne keine Beratung. Für Direktversicherer gelten die strengen Regeln nicht, die in Deutschland seit einigen Jahren verankert sind. Versicherungsvermittler sind dazu angehalten, Kunden bedarfsgerecht zu beraten, und das müssen sie dokumentieren. Sinn der Sache ist, dass Verbraucher nachweisen können, dass der Vermittler einen Fehler gemacht hat. Dann muss er dafür haften. Das gilt zum Beispiel, wenn der Kunde mit dem Auto in das Nicht-EU-Land Türkei fahren und für den Urlaub seinen Wagen vollkaskoversichern will, der Vermittler ihm aber einen Schutzbrief für die Europäische Union verkauft. Hat der Kunde dann in der Türkei einen Unfall und das Auto ist Schrott, muss der Vermittler haften. Bei einem Direktversicherer gilt das aber nicht. Das heißt: Bei einer Falschberatung durch einen Mitarbeiter eines Direktversicherers hat der Kunde keinen Haftungsanspruch. Das kann bei der Altersvorsorge oder bei einer Kfz-Versicherung durchaus teuer werden. Das gilt für CosmosDirekt ebenso wie für die Kunden der Konkurrenten Asstel oder ERGO Direkt. Die Haftungsfrage siehtCosmosDirekt-Chef Stockhorst jedoch nicht als Problem an. »Bei uns werden intern unsere Aktivitäten dokumentiert«, sagt er. Würde ein Fehler entdeckt, würde der Versicherer dafür auch die Verantwortung übernehmen. Aber das wäre Kulanz. Wer bei CosmosDirekt Kunde ist, der kann seine Verträge und die Entwicklung seines Vermögens jederzeit einsehen. Transparenz findet Stockhorst eine tolle Sache. »Für uns ist Transparenz etwas Großartiges, weil wir die Stärken unseres Geschäftsmodells zeigen können«, sagt er. Das macht den Eindruck, als wäre der Versicherer die große rühmliche Ausnahme. Aber er hält seinem eigenen hehren Anspruch nicht stand. Nicht nur die Ausgaben für Werbung sind Geschäftsgeheimnis. Den Zinsträger für die Überschussbeteiligung will man ebenfalls nicht nennen. Das würde »Scheintransparenz« schaffen, meint Stockhorst.
Als die Aachen und Münchener Versicherung 1982 den regionalen Versicherer Cosmos übernahm und in einen Direktversicherer umbaute, hatte kaum ein Haushalt ein Fax. Zunächst verkaufte die Gesellschaft über das Telefon und die Post. Heute kommt mehr als die Hälfte aller Policen über das Internet. Für die gesamte Branche nimmt die Bedeutung des World Wide Web zu. »Das Internet etabliert sich zunehmend als bedeutender Vertriebsweg für Versicherungen«, sagt der Vizepräsident des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) Heinz Paul Bonn. Nach einer repräsentativen Umfrage seines Verbands versichern sich zwei Millionen Deutsche über das Netz. Überraschend: Besonders oft kaufen demnach Senioren ab 65 Jahren eine Police auf diesem Weg. Verbraucher schätzen die Vergleichbarkeit im Internet, glaubt der Verband. Doch wie bei fast allem in der Branche ist auch die Transparenz im Internet nur eine scheinbare.
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