Die Angstmacher
Unfallversicherung, dass die Unternehmen durchaus Luft hätten, um die Bedingungen bei allen Verträgen zu verbessern. In Deutschland hatte die Assekuranz 2011 rund 27 Millionen Unfallpolicen in ihren Beständen, für die Kunden rund 6,5 Milliarden Euro zahlten. Drei Milliarden Euro gab die Branche für Schäden aus. Den Vogel schießt wieder einmal Kundenversteher ERGO ab. Der Direktversicherer der Gruppe bietet eine Unfallversicherung an, die sich offensichtlich an junge Kunden richtet. Diese Unfallversicherung können Interessierte über eine App, ein spezielles Programm für Mobiltelefone, abschließen. Mit dem Slogan »No risk, more fun« wird das Angebot beworben. »Ob Skiwochenende oder spontaner Kurztrip: Mit der App UNFALL-SCHUTZ48 von ERGO Direkt Versicherungen erhalten Sie in wenigen Minuten für 48 Stunden Schutz über die günstige Unfallversicherung. Der Beitrag von 99 Cent wird einfach über Ihre Mobilfunkrechnung abgebucht«, heißt es auf der Homepage. Der Bund der Versicherten warnt vor dem »Nepp mit der App«. Für 99 Cent schließen Kunden eine Versicherung ab, bei der sie ein Tagegeld von 50 Euro erhalten, wenn sie ins Krankenhaus kommen. Reguläre Unfallversicherungen zahlen, wenn der Verunglückte dauerhaft Invalide ist. Doch diese Unfallversicherung zahlt gerade dann nicht.
3. Wie schlecht Versicherer Geschädigte behandeln
E s gibt wahre Geschichten, die weigert sich der gesunde Menschenverstand zu glauben. Wie die von dem Motorradfahrer und dem Rentner, der den Tankdeckel nicht richtig zugeschraubt hatte. An einem heißen Tag Ende August fuhr der Senior nach einem Halt an der Tankstelle mit seinem Mercedes auf den Hohenstaufen, einen der drei Kaiserberge auf der Schwäbischen Alb zwischen Göppingen und Schwäbisch Gmünd. Pech für den selbstständigen Schreiner, der an diesem Tag auf seinem Motorrad unterwegs war. Als der Rentner eine Linkskurve nahm, schwappte Diesel auf die Straße. Der Motorradfahrer hinter ihm rutschte auf dem Kraftstoff aus, verlor die Kontrolle und stürzte. Der entsetzte Rentner eilte sofort zu Hilfe. Glück im Unglück, dem Fahrer war nichts geschehen. Aber sein Motorrad hatte ziemlich gelitten. Die Sache schien klar. Wer Verursacher und wer Opfer war, stand außer Frage. Der Rentner meldete den Unfall so, wie er geschehen war, seinem Versicherer, der WGV. Der Versicherer schickte einen Gutachter. Der besichtigte das Motorrad, doch in der Dokumentation fanden sich weder Fotos noch Beschreibungen von Dieselspuren an den Reifen.
Statt den Schaden zu regulieren, schickte die WGV dem Motorradfahrer einige Wochen später eine Aufforderung. Man habe die Haftungsfrage geprüft, hieß es. »Danach ist bislang nicht bewiesen, dass Sie durch verlorenen Kraftstoff unseres Versicherungsnehmers ins Rutschen und somit zu Fall gekommen sind«, schrieb der Sachbearbeiter. Der Motorradfahrer solle doch bitte nachweisen, dass sich Kraftstoff auf der Fahrbahn befunden habe. »Im anderen Fall können wir Ihnen derzeit eine Regulierung nicht in Aussicht stellen.« Wieder hatte der Schreiner Glück im Unglück. Er hatte sein Motorrad noch nicht reparieren lassen. Der von ihm eingeschaltete Sachverständige konnte anhand der Spuren nachweisen, dass er auf einer Dieselspur ausgerutscht war. Hätte der Mann sein Motorrad in der Zwischenzeit richten lassen, hätte er keinen Beweis gehabt. Nachdem der Schreiner Klage eingereicht hatte, zahlte der Versicherer. Das ist ein Einzelfall, sagt der Versicherer. Läuft etwas schief, ist es immer ein Einzelfall. Mag sein, dass so ein krasser Fall nicht täglich vorkommt – wäre das an der Tagesordnung, wäre die Assekuranz als Branche wohl auch eine Angelegenheit für die Schwerpunktstaatsanwaltschaften für organisierte Kriminalität. Das Bürgerliche Gesetzbuch macht in Paragraf 249 Absatz 1 klare Vorgaben: »Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.« Aber Geschädigte, Anwälte, unabhängige Sachverständige und Verbraucherschützer machen immer wieder die Erfahrung, dass die Gesellschaften den Bogen überspannen, um die Regulierung eines Schadens ganz oder teilweise verweigern zu können. »Die Versicherer ziehen alle Register, um nicht zahlen zu müssen«, sagt der unabhängige Sachverständige Mario Stoll. Das Verhältnis zwischen unabhängigen Gutachtern und Versicherern ist, freundlich ausgedrückt, gespannt. »Die
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