Die Angstmacher
Haftpflichtversicherung konstruieren die Unternehmen gerne ein Mitverschulden des Opfers. Fährt ein Skater auf dem Bürgersteig einen Passanten um, wird dieser zu 50 Prozent mitverantwortlich gemacht – er hätte ja ein bisschen besser aufpassen können. Nach einem Schaden und erfolgter Regulierung können Kunden und Versicherer in der Sachversicherung den Vertrag beenden. Dass eine Gesellschaft einen Vertrag nach einem Schaden kündigt, war früher selten. Heute ist es das nicht mehr. »Alle Versicherer sind viel härter geworden, die Auseinandersetzungen werden schärfer«,sagt Rudnik . Dass ein Unternehmen kleinlich nach einem Sturm dessen Stärke infrage stellt, war die Ausnahme. Jetzt ist es die Regel. Und er ergänzt: »Der Wettbewerb ist härter geworden.« Die Verbraucher werden, wie es so schön heißt, preissensibler. Auch früher wollten sie nicht mehr als nötig für ihren Versicherungsschutz ausgeben. Aber da hatten sie kaum die Möglichkeit, viele verschiedene Angebote einzuholen. Versicherer unternehmen zwar viel, um ihre Verträge nicht vergleichbar zu machen. Doch Interessierte haben über das Internet durchaus die Möglichkeit, sich Anhaltspunkte zu verschaffen. Vor allem in der Autoversicherung nutzen Verbraucher die Preistransparenz, die zu sinkenden Beiträgen geführt hat.
Unfallopfer als Kollateralschaden des Preiskriegs
Die Kfz-Versicherung hat für die Assekuranz eine große Bedeutung. Sie ist mit Prämieneinnahmen von rund 21 Milliarden Euro im Jahr 2011 der mit Abstand größte Zweig der Sachversicherung. Eine Kfz-Haftpflichtversicherung muss jeder Halter haben, der mit seinem Fahrzeug auf einer öffentlichen Straße unterwegs ist. Sonst macht er sich strafbar. Die Haftpflichtversicherung kommt für die Schäden auf, die der Fahrer eines Autos anderen zufügt. Die Kaskoversicherung zahlt für Schäden, die am eigenen Fahrzeug entstehen. In Deutschland gibt es fast 60 Millionen Kraftfahrzeuge, darunter rund 42 Millionen PKW. Im Jahr 2011 kamen auf 1000 Einwohner 622 Kraftfahrzeuge. Ein riesiger Markt für die Versicherer, zumal die Risiken für die Gesellschaften bestens zu handhaben sind. Weil die Haftpflichtversicherung gesetzlich vorgeschrieben ist, müssen sie zwar jeden Interessenten versichern. Sie können aber über den Preis sehr gut steuern, welche Kunden sie haben wollen und welche nicht. Ganz unbeliebt bei den Anbietern sind junge männliche Fahranfänger bis 25 Jahre. Denn die bauen besonders häufig Unfälle. Deshalb ist der Versicherungsschutz für sie sehr teuer.
Die Kfz-Sparte ist die Einzige, in der es einen echten Wettbewerb gibt. Bei anderen Verträgen ist Kunden meistens nicht klar, wie die Kündigungsfristen sind und wann sie den Anbieter wechseln können. In der Regel verlängern sich Hausrat- und Haftpflichtverträge automatisch, oft verpassen Kunden den richtigen Zeitpunkt zum Wechsel. Die Kündigungsfrist liegt häufig drei Monate vor Ablauf, die Rechnung kommt aber einen Monat vor dem Ende des Versicherungsjahres. Dann ist es zu spät. Also bleibt der Kunde erst mal, auch wenn er eigentlich wechseln will. Im nächsten Jahr wiederholt sich das. In der Kfz-Sparte dagegen sind Verbrauchern die Kündigungstermine bewusst. Die Anbieter rüsten stets im Herbst zur großen Wechselschlacht. In der Regel laufen die Policen fürs Auto über ein Jahr, und zwar bis zum 31. Dezember und können bis zum 30. November gekündigt werden. Viele Gesellschaften versuchen aggressiv, Wettbewerbern Kunden abzujagen. Über Jahre haben sie sich einen regelrechten Preiskrieg geliefert. Angezettelt hatte ihn die Allianz. Die Münchener, damals Marktführer, wollten 2004 ihr Geschäft kräftig ausbauen. Sechs Jahre später hat Konkurrent HUK-Coburg das Unternehmen mit den stilisierten Adlern im Logo tief gedemütigt. Die HUK-Coburg kam auf 8,41 Millionen Fahrzeuge, die Allianz nur auf 8,16 Millionen. Damit wurde die HUK Marktführer. Das Kopf-an-Kopf-Rennen wird weitergehen. Die Allianz konterte mit einem neuen Tarif, der sie wieder in die Offensive bringen soll.
Die Lage wird für viele Gesellschaften zunehmend ungemütlicher. In der Autosparte schreibt die Mehrzahl der Versicherer tiefrote Zahlen. Sie nehmen weniger an Beiträgen ein, als sie für Kosten und Schäden zahlen müssen, das nennt die Branche einen »versicherungstechnischen Verlust«. Das sind nicht unbedingt echte Verluste. Denn viele können das Defizit mit Kapitalerträgen, die sie erwirtschaften, ausgleichen. Sie haben
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