Die Angstmacher
Unternehmen bekämpfen unabhängige Sachverständige«, sagt er. »Sie schicken Kunden Standardschreiben mit dem Satz: Das Gutachten ist unbrauchbar.« Begründungen liefern sie nicht. Nach Stolls Erfahrungen bringen Geschädigte nach einem Unfall dem Versicherer viel Vertrauen entgegen, auch wenn es der des Verursachers ist. Fordert die Gesellschaft ein neues Gutachten, gehen sie nicht etwa zum Anwalt, sondern zum Sachverständigen des Versicherers. Dabei müssen sie eine zweite Expertise nicht zulassen. Tun sie es, müssen sie mit Abstrichen rechnen. Denn der Versicherer will nur ein neues Gutachten, um weniger zahlen zu müssen.
Die Internet-Plattform CAPTAIN-HUK hat mehr als 1000 Gerichtsurteile zu Auseinandersetzungen um Gutachtenhonorare gesammelt. Sachverständige, Anwälte und andere haben dieInternetseite aufgebaut und pflegen sie mit großer Liebe zum Detail. Sie verstehen sich als Sprachrohr der Geschädigten und haben das Regulierungsverhalten der Versicherer genau im Auge. Viele der von CAPTAIN-HUK gesammelten Urteile drehen sich um Streit zwischen Sachverständigen und dem Versicherer HUK-Coburg. Mit 150 bis 200 von ihnen liegt die HUK-Coburg nach eigenen Angaben im Clinch. Die überwiegende Mehrzahl der Auseinandersetzungen geht zugunsten der freien Gutachter aus. Doch HUK-Coburg-Sprecher Alois Schnitzer wiegelt ab: »Es gibt einige wenige Sachverständige, mit denen wir wegen aus unserer Sicht regelmäßig überhöhter Rechnungen nicht klarkommen.«
Der Versicherer hat nach Gesprächen mit dem Sachverständigenverband BVSK eine Honorartabelle erstellt, die nach dem Willen der HUK-Coburg auch nicht BVSK-Mitgliedern zur Orientierung dienen soll. Das Honorar für die Gutachter bemisst sich nach der Schadenhöhe. Bei einem Schaden von 4000 Euro zahlt die HUK-Coburg nach der Honorartabelle 563 Euro. Die Sätze der unabhängigen Sachverständigen, mit denen sie streitet, liegen bei einem Schaden in dieser Höhe bei etwa 750 Euro. Dass die unabhängigen Sachverständigen vor Gericht oft gewinnen, bestreitet die HUK-Coburg nicht. »Es gibt Amtsgerichte, da verlieren wir regelmäßig«, erklärt der Sprecher die vielen gegen den Versicherer erstrittenen Urteilssprüche. Die Gesellschaften versuchen, Anwälte und unabhängige Sachverständige aus der Schadenregulierung zu drängen, sagen Juristen und Gutachter. »Wir wollen niemanden aus der Schadenregulierung drängen«, sagt der HUK-Sprecher. »Aber es muss nicht bei jedem Schaden ein Anwalt und ein Sachverständiger eingeschaltet werden.« Das sehen die unabhängigen Gutachter anders. Sie werfen der HUK-Coburg und anderen Versicherern vor, den Schaden zusammenkürzen zu wollen – mithilfe eigener oder im Auftrag der Assekuranz arbeitender Gutachter.
Zeit ist für die Versicherer Geld. Jeder Tag kostet sie Geld für den Mietwagen oder Nutzungsausfall. »Nur ein schnell und zurZufriedenheit der Beteiligten regulierter Schaden ist ein guter Schaden«, betont Schnitzer. Ein guter Schaden – für Versicherer ist es durchaus gut, dass es Schäden gibt. Sonst bräuchte es sie ja nicht zu geben. Für Verbraucher ist ein Schaden immer zumindest ärgerlich, meistens richtig schlimm. Autohalter wollen nach einem Unfall schnell ihren Wagen wiederhaben. Aber sie wollen auch angemessen entschädigt werden. Ob das der Fall ist, können sie selbst nicht feststellen. Wie hoch ein Schaden wirklich ist, sollte eine neutrale Instanz untersuchen. »Ich lasse meine Steuererklärung ja auch nicht vom Finanzamt machen«, sagt der unabhängige Sachverständige Mario Stoll.
Wer einen Schaden hat, hat gute Gründe, dem Versicherer zu misstrauen. Das gilt vor allem, aber nicht nur für die Auto-Sparte. Kostendrücken statt Kulanz ist der Trend in der Assekuranz. Geschädigten bläst der Wind immer stärker ins Gesicht. Die Versicherer sind bei der Schadenregulierung in allen Sparten viel rigider als früher. »Die Auseinandersetzungen im Leistungsfall haben erheblich zugenommen«, weiß Thorsten Rudnik, langjähriges Vorstandsmitglied des Bundes der Versicherten, der mit knapp 53 000 Mitgliedern größten Verbraucherschutzorganistion im Bereich der Assekuranz. Die Gesellschaften knausern zum Beispiel beim Zeitwert. »Eine Gesellschaft wollte einem Geschädigten für die zerstörte ein Jahr alte Brille nur einen Zeitwert von 50 Prozent zahlen«, berichtet Rudnik von einem Mitglied des Bundes der Versicherten. Früher wäre der Abzug erheblich niedriger gewesen. In der
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