Die Angstmacher
er dafür, dass ein Auto quasi »für tot« erklärt wird, wenn es ihm günstiger erscheint. Für den Versicherer ist es oft viel billiger, den Wagen als Totalschaden zu betrachten, als ihn wieder instand setzen zu lassen. Anspruch auf eine Reparatur hat ein Geschädigter bei einem Haftpflichtfall, solange der Reparaturpreis den Wiederbeschaffungswert nicht um 30 Prozent überschreitet. Ohne Reparatur spart der Versicherer nicht nur die 30 Prozent, er kann das Autowrack auch noch verwerten. In der Kaskoversicherung gibt es den Zuschlag von 30 Prozent nicht. Da ist das Auto in Todesgefahr, wenn die Reparaturkosten mehr als die Hälfte des Wiederbeschaffungswertes betragen.
Gerade bei älteren Autos kann das schnell der Fall sein. Hier gibt es rasch einen großen Interessenkonflikt zwischen demGeschädigten und dem Versicherer: Das Unfallopfer will seinen Wagen behalten, weil es von dem Geld für den Totalschaden vom Versicherer keinen neuen bekommt. Der alte VW-Golf mag nur noch 1500 Euro wert sein, aber er läuft hervorragend und wird noch einmal über den TÜV kommen. Die Reparatur für den Lackschaden würde 2000 Euro kosten, deshalb hat der Versicherer das Auto zum Totalschaden erklärt. Der Halter will den Wagen aber nicht verschrotten, denn er hat kein Geld für einen neuen, und für 1500 Euro bekommt er keinen. Nun will der Versicherer aber nicht einmal die 1500 Euro zahlen. Der Versicherer tut jetzt so, als wäre das Auto ein echtes Wrack, das man verkaufen kann. Das Wrack hat einen sogenannten Restwert. Der Restwert ist keine von festen Parametern abzuleitende Größe, sondern der Marktwert. Den ermitteln Versicherer in der Regel nicht mehr beim Schrotthändler um die Ecke, sondern über sogenannte Restwertbörsen im Internet. Auf diesen Börsen bieten sie die Wracks an – die ihren Kunden gehören. Als Käufer hat nur Zugriff auf die Angebote, wer registriert ist und dafür viel Geld zahlt. Verbraucher haben keinen Zugang, nur die Profis. Geschädigte können den Verlauf also nicht verfolgen, obwohl sie das Recht auf eine transparente Schadenregulierung haben. Das Problem an diesen Börsen: Sie dienen den Versicherern dazu, die Summe für Geschädigte zu drücken, die ihr Auto behalten wollen.
Gibt ein Käufer auf der virtuellen Restwertbörse ein Angebot ab, verpflichtet er sich, das zu Schrott erklärte Auto zu kaufen und zu holen. Diese Angebote geben die Versicherer an die Geschädigten weiter. Wollen die ihren Wagen loswerden, bekommen sie den versprochenen Preis. Der Versicherer zahlt die Differenz bis zum Wiederbeschaffungswert. In den Fällen, in denen das Angebot auf der Restwertbörse rein fiktiver Natur ist, sieht die Sache ganz anders aus. Der Versicherer stellt das Bild des Autos einzig mit dem Zweck ins Internet, einen möglichst hohen Preis zu erzielen, den er nicht realisieren will. Der Geschädigte will das Auto ja behalten. Je höher der Preis, denjemand bietet, desto weniger muss der Versicherer dem Geschädigten zahlen. Ein Beispiel: Bei einem Unfall hat ein alter Audi Beulen und Lackschäden davongetragen. Die zu beheben würde 2500 Euro kosten. Das Auto ist aber nur 2000 Euro wert, wird also zum Totalschaden erklärt. Der Halter will es aber nicht verschrotten. Der Versicherer bietet das Auto auf einer Restwertbörse an. Ein Händler will 1000 Euro zahlen. Schön für den Versicherer, schlecht für den Geschädigten. Der Versicherer zahlt jetzt nur noch 1000 Euro, weil der Besitzer des vermeintlichen Wracks sein Auto ja an den Händler verkaufen könnte.
Immer wieder gibt es Streit um dieses Verfahren, etwa um die Frage, ob Kunden das Angebot aus der Restwertbörse akzeptieren müssen oder bis zu welchem Zeitpunkt nach dem Unfall sie dazu verpflichtet sind. Nach Auffassung vieler Sachverständigen dürfen die Versicherer im Haftpflichtfall die Restwertbörsen nicht nutzen. Doch für die Versicherer lohnt sich dieses Verfahren. Um Angebote in die Internetbörsen stellen zu können, brauchen sie Fotos von den Autos. Dazu nutzen einige Gesellschaften sogar die Bilder der Gutachten, die sie gegenüber den Geschädigten als »zur Regulierung nicht geeignet« oder als »nicht prüffähig« bezeichnen und die sie nicht bezahlen wollen. In zahlreichen Urteilen haben Richter festgestellt, dass es sich dabei um Urheberrechtsverletzungen handelt.
Viele Wracks gehen nach Osteuropa, sagen Beobachter. Die Aufkäufer dort können höhere Preise bieten als einheimische, weil die Arbeitskosten für
Weitere Kostenlose Bücher