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Die Angstmacher

Die Angstmacher

Titel: Die Angstmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Krueger
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Erkrankung verschlimmert hat, hat sie schwarz auf weiß. Im Laufe der Zeit sei die depressive Symptomatik stärker geworden, heißt es in einem Gutachten ihres Arztes. »Dies vor allem im Hinblickdarauf, dass sie immer wieder zu verschiedenen Begutachtungen muss, obwohl die Gutachten keine neuen Aspekte aufzeigen. Auch dass von der Gegenpartei ihr bisheriges Leben nicht anerkannt und falsch dargestellt wird, belastet sie sehr. Sie fühlt sich in diesem Zusammenhang hilf- und machtlos.«
    Kein Gutachten, keine ärztliche Diagnose, die die Gothaer nicht in Zweifel zieht. Die ständigen Ohrgeräusche, der Tinnitus, werden von Marion Marbachs Ärzten eindeutig als Folge des Unfalls beschrieben. Die Gothaer behauptet, der Tinnitus sei keine Folge des Unfalls. Auch die posttraumatische Belastungsstörung will sie nicht anerkennen. Marion Marbach ist rechtsschutzversichert. Sie lässt sich das nicht gefallen. »Früher war ich eine Powerfrau«, sagt sie. Davon scheint immer noch etwas durch, ihr Kampfgeist ist geblieben. Aber die Kraft ist weg, fast. Zu den Symptomen ihrer Erkrankung gehört der soziale Rückzug. Menschenansammlungen kann sie nicht ertragen. Ertönt Kindergeschrei, nimmt ihre Anspannung zu. Ihre linke Hand zittert mehr als sonst, sie wird fahrig und unruhig. Zweimal hat sie versucht, wieder zu arbeiten. Es hat nicht geklappt. Sie leidet nicht nur unter Tinnitus und der posttraumatischen Belastungsstörung. Sie hat auch eine Hyperakusis, eine Geräuschüberempfindlichkeit. Hört sie es pfeifen oder andere schrille Töne, wird ihr übel.
    Marion Marbachs Nervenkostüm ist extrem instabil, das ist ja gerade die Folge des Unfalls. »Die Gothaer und ihr Anwälte nehmen auf so etwas keine Rücksicht«, sagt sie. Jeder Brief wird zum Stressauslöser, bei jedem Gang zum Postkasten bricht ihr der kalte Schweiß aus, beginnt sie zu zittern. Eine Folge des Unfalls ist, dass ihr Körper in ständiger Alarmbereitschaft ist. Was Geschädigten wie Marion Marbach immer wieder schwer zu schaffen macht, ist, vom Versicherer als Simulantin hingestellt zu werden. Das ist demütigend und erniedrigend. Einen Unfall zu haben, dessen Folgen das Leben von heute auf morgen völlig auf den Kopf stellen, ist schlimm. Dass das nicht anerkannt wird, unerträglich. Marion Marbach muss damit fertig werden, dasssie eine andere geworden ist. Dass sie nicht mehr die Powerfrau ist, die alles im Griff hat und locker für sich und ihre Tochter sorgen kann. Die möglicherweise einen Nervenzusammenbruch bekommt, wenn wieder einmal ein Schreiben aus der Kanzlei des Versicherers im Briefkasten liegt.
    Marion Marbach fühlt sich der Gothaer völlig ausgeliefert. Sie kämpft einen Kampf mit ungleichen Waffen. Ihr Anwalt ist zwar ein Fachanwalt, aber nicht für Versicherungsrecht. Die Gothaer wird von einer der renommiertesten Kanzleien für Versicherungsrecht in Deutschland vertreten, die viele Anwälte beschäftigt und deren Partner viel beachtete Kommentare zu Gesetzen schreiben. Hier kennt man jeden Trick, jeden juristischen Winkelzug. Marion Marbach fragt sich, ob den Anwälten klar ist, welchen Stress die kurzfristige Verschiebung eines Prozesstermins bei Menschen mit einer Krankheit wie ihrer auslöst. Sie kann eine ganze Reihe ärztlicher Gutachten vorweisen, von Neurologen, Psychiatern und HNO-Ärzten. Ohne ihre Einwilligung gibt die Gothaer die Daten an einen Gutachter weiter. Der fertigt ein fünfzehnseitiges Schriftstück mit merkwürdigen Thesen an. Eine bei Versicherern beliebte Taktik ist, zu behaupten, nicht der Unfall sei Ursache der Krankheit, sondern, wie es im Branchenjargon so schön heißt, ein »Vorschaden«. Den sieht der Gutachter offenbar schon in der Tatsache, dass Marion Marbach alleinerziehende Mutter ist. Denn diese Gruppe sei ja dafür bekannt, dass sie häufig an psychischen Beeinträchtigungen leide, heißt es. Auch dass sie vor dem Unfall bei einer Heilpraktikerin, die auch Psychotherapeutin und Sozialarbeiterin ist, Entspannungsübungen absolviert hat, wird ihr angekreidet. Außerdem habe sie ein problematisches Verhältnis zu ihrer Tochter. »Ich habe nicht nur kein Leben mehr, die Versicherung versucht auch, mein altes Leben in den Dreck zu ziehen«, sagt sie.
    Vor den Verhandlungen vor Gericht hat sie Angst, seit ein Anwalt sie anfuhr: »Und was es mit dem Zittern auf sich hat, das werden wir auch noch untersuchen lassen.« Die Schuldfrage istvöllig klar, der Renault-Fahrer hat den Unfall verursacht. Die

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