Die Angstmacher
Gutachten bezeugen eindeutig, dass die Geschädigte einen erheblichen Schaden hat. In den Expertisen steht auch, was ihr schadet. »Ich hatte das Gefühl, das war eine Gebrauchsanweisung für die andere Seite«, sagt sie. »Die Versicherer haben ein großes Interesse daran, den Geschädigten schlecht dastehen zu lassen.« Als sie 2006 in der Klinik ist, raten die Ärzte ihr, einen Antrag auf befristete Verrentung zu stellen. Sie soll zur Ruhe kommen. Sie stellt den Antrag, er wird bewilligt. Zuerst bis Ende 2011, dann bis Ende 2014. Sie hofft, dass Versicherer und Berufsgenossenschaft ein Einsehen haben, wenn die Rentenversicherung aufgrund der Unfallfolgen eine befristete Rente bewilligt. Aber die denken gar nicht daran. Die Sache geht noch Jahre weiter.
Marion Marbach versteht die Welt nicht mehr. Mittlerweile hat sie einen fachkundigen Anwalt, der nicht nur Schmerzensgeld fordert. Sie ist fertig. Nicht nur psychisch. Im März 2011 steht Marion Marbach vor dem finanziellen Aus. Ihr Haus ist in Gefahr, einen Teil des Grundstücks hat sie schon verkauft. Jetzt wird es richtig eng. Auch wenn der Versicherer mittlerweile 24 000 Euro als Entschädigung gezahlt hat. Die Richter des Oberlandesgerichts Darmstadt schlagen ihr und der Gothaer einen Vergleich vor. Sie sieht keine andere Möglichkeit, als sich auf den Vergleich einzulassen. Dabei hätten die Aussichten gut gestanden, vor einer höheren Instanz mehr zu bekommen. Aber sie kann nicht mehr. »Ich hatte keine Aussicht auf Besserung, solange dieses Verfahren läuft«, ist sie überzeugt. Die Gothaer zahlt zusätzlich zum Abschlag rund 286 000 Euro. Das klingt viel. Aber das ist es nicht. Das Geld muss bis zu ihrem Lebensende reichen. Sie bekommt eine Erwerbsminderungsrente. Aber sie erwirbt keine weiteren Ansprüche für die Altersrente mehr. »Früher hatte ich keine Angst vor Altersarmut, das ist heute anders«, sagt sie.
Marion Marbach ist vom Rechtsstaat enttäuscht. »Es kann doch nicht sein, dass der Richter nur der Schiedsrichter ist, werden besseren Anwalt hat«, sagt sie. Immer wieder geschieht es Unfallopfern, dass sie bei einem Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt landen, der den hoch spezialisierten Juristen der Versicherer aus den großen Kanzleien nicht gewachsen ist. »Man müsste Justitia die Binde von den Augen reißen, damit sie sieht, was hier los ist«, sagt sie. »Der Gesetzgeber schützt den Geschädigten nicht.«
Die Gothaer möchte keine Stellung dazu beziehen, wie sie Marion Marbach behandelt hat. Der Fall sei seit Langem abgeschlossen, sagt eine Sprecherin. »Es handelt sich um einen Einzelfall mit einem immensen Komplexitätsgrad, deswegen möchten wir hier nicht erneut tief einsteigen«, sagt die Sprecherin. Das sagt die Gothaer aber erst, nachdem sie sich eine Einverständniserklärung von Marion Marbach hat vorlegen lassen, dass sie den Versicherer von jeglicher Schweigepflicht entbindet. So etwas passiert nicht selten. Es erschwert die Berichterstattung von Journalisten. Berichte sollen unglaubwürdig klingen, weil sich der Versicherer nicht zu einem Fall äußert.
Interessenvertreter von Geschädigten und Anwälte beklagen immer wieder die Zermürbungstaktik der Versicherer, wie sie auch im Fall von Marion Marbach sichtbar wird. Die Gothaer weist solche Vorwürfe – ganz allgemein – weit von sich. »Diese Vorwürfe können wir nicht nachvollziehen. Wir setzen alles daran, unseren Versicherten oder Menschen, die durch unsere Versicherungsnehmer zu Schaden gekommen sind, so schnell und umfassend wie möglich zu helfen. Denn das ist schließlich der Sinn des Versicherungsschutzes«, sagt die Gothaer. »Allerdings müssen wir zum Schutz der Versichertengemeinschaft auch immer prüfen, ob die Forderungen, die erhoben werden, auch tatsächlich berechtigt sind. Wenn dies der Fall ist, werden Schäden selbstverständlich umgehend reguliert.« Über solche Sätze kann Marion Marbach nur lachen. Aber es ist ein bitteres Lachen. Sieben Jahre hat die Gothaer ihren Fall »geprüft«, obwohl die Sachlage von Anfang an klar war. »Die hätten mich fast umgebracht«, sagt sie.
Vorsicht bei freundlichen Helfern
Bei Personenschäden durch Autounfälle geht es immer um viel Geld. Aufgrund der besseren Sicherheitstechnik in den Fahrzeugen überleben Unfallopfer öfter und länger. Bei der Schadenregulierung zu knausern ist nicht der einzige Weg, um Kosten zu senken. Bei, wie es im Branchenjargon heißt, »schweren Personenschäden« greifen die
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